Kommentar
Der Anatom der medizinischen Akademie in Dresden, Seiler (*1779 Erlangen - † 1843 Dresden), weil. Königl. Sächs. Hof- und Medicinalrathe, Director und Professor an der chirurgisch-medicinischen Akademie zu Dresden, Ritter etc., griff Überlegungen auf, die bereits von Martinez (› 1689), Lichtensteger (› 1746), Salvage (› 1812) und im Jahre zuvor von Schmidt (› 1849) vorgeschlagen und diskutiert worden waren: Das Skelett sei der entscheidende Ausgangspunkt. Das Skelett deswegen, weil an ihm die Messpunkte zur Ermittlung der Proportionen am genauesten zu bestimmen seien. Genauer jedenfalls als an einer Statue oder am lebenden Modell.
Damit griff er einer Debatte voraus, die unter etwas anderen Bedingungen dann von der internationalen anthropologischen Anthropometrie in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts normiert werden sollte.
1850, posthum kamen diese knappen Darstellungen um Einiges im umfangreicheren Kommentar vermehrt, von seinem Sohn bearbeitet heraus. Indessen leidet diese Anatomie-Werk deutlich daran, daß es einem Anatomen schwer fiel, zumindest in den Abbildungen sich dem Standard von Anschaulichkeit zu nähern, den die Proportionslehre z.B. von Salvage (› 1812) oder dem 1802 gerade wieder gedruckten › Cousin auszeichneten.
Anatomien für bildende Künstler wurde zu einem beliebten Publikationsthema von Anatomen, auch wenn sie nicht an einer Kunstakademie unterrichteten - und das bis heute.
Bildende Kunst, zumal die der Antike galt als höheres Bildungsgut, mit dem sich diese Akademiker gerne vor der Öffentlichkeit schmückten. Der Gewinn für die Proportionslehre bleibt indessen fraglich, zumal sich die Künstler von dem Kanon der akademischen Grundausbildung - zwar nicht während der Ausbildungszeit an den Akademien, aber doch bald danach - zunehmend verabschiedeten. Die künstlerische Wahrscheinlichkeit wurde zu einem bedeuteren Kriterium als die wissenschaftlich gesicherten neueren Erkenntnisse.
Die differenzierten Datenmengen, die erstzunehmende Anthropologie und medizinische Anthropometrie zu liefern wußten, entzogen sich seit der Mitte des Jahrhunderts zunehmend der Anschaulichkeit. Sie hatten mit den bildkünstlerischen Aufgabenstellungen kaum noch etwas gemein.
Die in diese Anatomien unvermeitlich eingestreuten Proportionsbeschreibungen und -spekulationen (14 von 184 Seiten) werden wohl kaum noch von irgendeinem Maler oder Bildhauer aufzufinden gewesen sein. Sie gingen im Quantum eines anderen Fachwissens letztlich unter ihren Augen vorbei.
So werden sie dann auch nur noch von Fachgenossen (den Herren Harless › 1856, Zeising › 1857, Bochenek › 1875, Guillaume › 1896) zitiert und vermutlich auch nur noch von diesen zur Kenntnis genommen.
Bibliographie
Titel:
»Anatomie des Menschen für Künstler und Thurnlehrer von Dr. Burkhard Wilhelm Seiler, weil. Königl. Sächs. Hof- und Medicinalrathe, Director und Professor an der chirurgisch-medicinischen Akademie zu Dresden, Ritter etc. Herausgegeben von A. F. Günther, Professor an der chirurgisch-medicinischen Akademie zu Dresden. Dazu acht Kupfertafeln im größten Imperialfolio und eine Steindrucktafel, das Skelet und die Muskeln des Pferdes darstellend.« Leipzig, Arnoldische Buchhandlung. 1850.
- Titelbklatt, S. III - S. VII
Vorrede., S. VIII - S. XII
Vorrede des Herausgebers., S. XIII - S. XVI
Inhalts-Verzeichnis., S. 1
Erste Tafel. - S. 183
„... der vorhergehenden Figuren sich ganz von selbst ergeben., I Blatt Druckeradresse.
Literatur: »Deutsches Biographisches Archiv.« NF, Bd. 1214, S. 130 - 131; Gerlach 1990, S. 32, 138, 147, 159, 221*, 225, 226, 234, 243.
Exemplar: München, Bayer. Staatsbibliothek
› digital; Privatbesitz.
© WP.Gerlach 12.12.1999, revidiert 06.2019.