Kommentar
Sein vollständiges Forschungs- und Publikationsvorhaben formulierte der Bildhauer und Akademiedirektor Schadow (*1764 - † 1850 Berlin) in jungen Jahren: Es sollten 1. die Anatomie, 2. die Proportionen nach verschiedenen Altern, 3. die Physiognomik, 4. die Lehre von den Verkürzungen, 5. die Lehre von den Affekten, 6. die Kostüme abgehandelt werden.
Dieses Programm entsprach dem, was bereits Alberti im XV. Jahrhundert als Katalog des Wissenswerten für einen bildenden Künstler aufgestellt hatte. Keiner - Leonardo nicht, Dürer nicht trotz der zahlreichen Studienzeichnungen - hatten dieses Pensum zu Lebzeiten je geschafft, geschweige denn auch noch veröffentlicht.
Schadow hatte 20 Jahre dafür als Mindestzeit veranschlagt. Es wurden 40 Jahre bis er auch nur einen Teil davon (1. - 3., 4. nur für den Kopf) fertiggestellt und im Druck erscheinen lassen hatte. Zahlreiche, bisher kaum ausgewertete Zeichnungen haben sich zu allen Teilen erhalten.
Dem Zeitplan lag ein naheliegendes Kalkül zugrunde: Mit 20 Jahren sei der Mensch ausgewachsen, das war die Grundannahme. Also brauchte er 20 Jahre, um ein Individuum von der Geburt bis zum vollendeten 20. Lebensjahr zeichnend und messend beobachten zu können. Für seine Patentochter ist das im Detail zu belegen: 1791 wurde sie geboren, 1824 entstand ein Blatt, daß sie wie auf einem Gruppenportrait in 7 Altersstufen wiedergab. Die jüngste Darstellung zeigt sie im Jahre 1794 als Schadow bereits Direktor der Berliner Akademie war. Spätestens da mußte der Plan gefaßt worden sein.
Goeree (› 1669) war der erste im XVII. Jahrhundert nach Esholtz, der ein vergleichbar umfangreiches Werk vorgelegt hatte. Er aber trug aus vielen unterschiedliche Werken nur zusammen, was zerstreut von Anderen zuvor geschrieben worden war (u.a. von Leonardo, Dürer, Lomazzo, della Porta, de Rubeis), selbst die Illustrationen waren entliehen.
Eine Anatomie hatte bis auf Cortona > 1618 und Martinez › 1689, ansatzweise dann Rubens › 1773, kein bildender Künstler je zu schreiben und zu zeichnen unternommen. Bei Medizinern war es um 1780 in Mode gekommen solche für Ärzte und Liebhaber der Anthropologie zu verfassen (so z.B. der Titel von Mayer › 1783, der 10 Jahre vor Schadows Aufmerksamkeit auf das Problem in Berlin erschienen war). Fischers Anatomie (› 1785) war dann die erste wieder von einem Künstler vor Schadows.
Die letzte in Berlin erschienene Zeichenanleitung von einem bildenden Künstler - für Kinder - war das des Akademiedirektors Johann Heinrich Meil von › 1789, die 1831 in vierter Auflage erschienen war.
Bibliographie
Titel:
»Lehre von den Knochen und Muskeln, von den Verhältnissen des menschlichen Körpers und von den Verkürzungen. In dreissig Tafeln zum Gebrauch bei der koeniglichen Akademie der Künste. Von Dr. G. Schadow und F. Berger.« Berlin. Wasmuth. 1830.
- Blatt 2 - Blatt 31, Tafel 1 - Tafel 30, in groß Folio.
Literatur: Hans Mackowsky, "Schadow, Gottfried." In: »Allgemeines Künstlerlexikon.« Bd. 1. 29, 1935, S. 541 - 546; Gerlach 1990, S. 96, 149, 154, 156, 212*.
Exemplar: SBBerlin, Sign.: gr.2" Nu 961. Nicht
digital; vgl.
› 1892; Privatbesitz.
© W.P.Gerlach 12.12.1999, revidiert 06.2019.