Kommentar
Von dem Übersetzer, ein adliger Herr namens Filip von Zesen, ist nur bekannt, daß er als Verfasser von einigen literarischen Ergüssen sich hervorgetan hat. Warum er den Autor der Quelle seiner Übersetzung verschwiegen hat, ist kaum aufzuklären. Jedenfalls geben die meisten Bibliothekskataloge beider Namen an.
In dieser Übersetzung des Buches des gelehrten Buchhändlers Goeree (Middelburg 1635 - 1711 Amsterdam) steht das Problem der Proportion gleichsam im Mittelpunkt eines nicht mehr so umfangreichen Werkes, daß sich dennoch mit Fug als Anthropologie bezeichnen läßt, dem zweiten, nicht minder umfangreichen dieser Art nach dem von Elsholz (> 1654).
Anatomie, Osteologie, Muskel- und Bewegungslehre, Affektelehre und Charakterkunde sind die weitgespannten Inhalte dieser Menschenkunde, die er durchaus für Zeichner, Maler und Bildhauer als notwendig erachtete.
Daß hier für von Goeree die Bewegungslehre Leonardos »Trattato della Pittura« in der 1651 in Paris erschienenen Druckfassungen mit den Illustrationen Poussins neben vielen anderen Quellen (u.a. Dürer, Lomazzo, Pader und Anastasius Kircher) zu Rate gezogen wurde, ist leicht ersichtlich. Nur daß diesmal alle Illustrationen fortgelassen wurden, die Goeree in der Amsterdamer Ausgabe eingebunden hatte. In der Tat sind der von ihm mit Lob erwähnte Dürer und Hilaire Paders Lomazzo Übersetzung von (>1649) seine Hauptreferenten in Sachen Proportionen. Wie diesen ist die Einbindung der menschlichen Gestalt kraft ihrer Proportionalität in die kosmische Harmonie eine Selbverständlichkeit.
Im Mittelpunkt von Goerees Überlegungen steht daher der "rechtgeschaffene Mensch", die Wohlgestalt einer mittleren Größe, die hinreichend so bezeichnet ist und keinerlei absoluten, gar statistisch erwiesenen mittleren Größenmaßes mehr zur näheren Bestimmung bedurfte.
Für die Zeit recht ungewöhnlich geht er detailliert auf die unterschiedlichen Proportionen des Kindes ein. Immerhin unterscheidet er drei verschiedene Altersstufen, deren Unterschiede er als wachstumsbedingte Veränderungen erkennt und beschreibt. Auch hier ist von einer Anlehnung an Dürer (1528) auszugehen.
Ein Gleiches ist wohl auch für die ebenso ungewöhnliche Ausführlichkeit bei den Überlegungen zur Proportion der Frau anzunehmen, wenn auch von einer somatischen Gleichgestalt von Frau und Mann ausgegangen wurde, die im Barock der Niederlande keineswegs - und wohl in Norddeutschland ebenso - als Selbstverständlich zu bezeichnen ist.