Kommentar
Diese erste veröffentlichte Äußerung
Schadows zum Thema Proportion kann, jenseits des polemischen Anstoßes, der sie auslöste, als ein Hinweis darauf gelesen werden, daß er sich mit dem Thema bereits kritisch auseinandergesetzt hatte. Weiterhin belegen die beigegebenen Abbildungen, daß er die aktuelle Diskussion verfolgte: So ist die Konstruktionszeichnung auf Taf. 1 oben rechts eine Erinnerungsskizze nach einer Dresdener Zeichnung von Raffael Mengs, die er dort bei einem Besuch, 1785 ⁄ 1820, zu sehen bekommen hatte.
Anstöße gab es genug: Camper (› 1792), Blumenbach, Gall. Alle beschäftigte die Gestalt des menschlichen Kopfes. Nur: sie beschäftigten sich mit dem des Erwachsenen. Der Zweig der anthropologischen Kraniometrie war geboren.
Schadow war Anderem auf der Spur: dem Wachstum. Auf Campers Tab.V. fand er fünf unterschiedliche Kinderköpfe abgebildet. Das mag für ihn eine Anregung gewesen sein. Bei Preissler (› 1757) fand er ein ihm ungenügend erscheinendes Schema vor. Seine Vorstellung war eine anthropometrische Vermessen. Er wollte sie von der Geburt bis zum Erwachsenenstadium selber durchführen.
Sein Blick hatte zwei Perspektiven. Die eine war der "Kanon". Diese Diskussion war durch Falconet › 1781 in die Diskussion gekommen. Päster unterbreitete › 1806 einen künstlerisch idealisierten, letztlich konservativen Vorschlag. Goethe war da denkmalhistorisch orientiert. 1810 schrieb er, daß der Kanon sich aus dem Mittelmaß zahlreicher erhaltener Statuen mit Sicherheit rekonstruieren lassen müsse. Hirt trug › 1815 in Berlin ein umsetzbares anthropometrisches und denkmalhistorisches Konzept ganz nach dem Geschmack Schadows vor. Das wird ihm eingeleuchtet haben, deckte es sich doch im Prinzip mit dem hier, 1801 vorgetragenen Wünschen.
Die zahlreichen Aufträge zur Anfertigung von Bildnisbüsten war die andere Perspektive. Über den Unterschied zwischen einer 16jährigen und einer 18jährigen - die preußischen Kronprinzessinnen Friederike und Luise, deren Köpfe er um 1795 vermessen hatte - machte er sich Gedanken. Eine künstlerisch überzeugende Lösung wollte er auf empirischer Grundlage schaffen können. Er fand sie überzeugend bereits für diesen Auftrag vor den nachfolgenden langjährigen Untersuchungen.
Hier bereits formulierte er die metrischen Eigenheiten und Grenzen des weiblich-kindlichen Reizes und warnt zugleich vor einem leichtfertigen Umgang mit optisch wirksamen Millimetern bei Formulierung in der Kunst.
Bibliographie
Titel:
Schadow, "Ueber einige, in den Propyläen abgedruckte Sätze, die Ausübung der Kunst in Berlin betreffend." In: Eunomia. Eine Zeitschrift des neunzehnten Jahrhunderts. Von einer Gesellschaft von Gelehrten. Herausgegeben von Feßler und Rhode. Januar 1801. Berlin 1801, II.
- Titelblatt, S. 487 - 519, 2 Tafeln.
Literatur: Hans Mackowsky, "Schadow, Gottfried." In: Ulrich Thieme - Felix Becker (Hg.), »Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler.« Bd. 29, 1935, S. 541 - 546; Gerlach 1990, S. 8, 46, 82, 96, 132 f, 149, 152 ff, 155, 199*.
Exemplar: München, Bayer. Staatsbibliothek:
› digital.
© W. P. Gerlach 12.12.1999, revidiert 06.2019.