Kommentar
Prof. Dr. med. Gustav
Fritsch (*1838 Kottbus - † 1927) promovierte 1863 in Medizin, habilitierte 1869 und wurde 1874 Professor in Berlin.
Im ersten Teil dieses Buches werden von ihm die Proportionen „des Menschen" dargelegt. In der III. Hauptabteilung kommen dann die Unterschiede zwischen einer männlichen und einer weiblichen Gestalt zur Sprache und schließlich zum Schluss noch die wachstumsbedingten Veränderungen in den Proportionen.
Im Titel werden bildende Künstler und Anthropologen als Adressaten angesprochen. Schaut man sich indessen die vor allem im letzten Drittel angehäuften Tabellen mit ihren langen Reihen von Meßdaten an, dann mag man ernstlich bezweifeln, ob je ein bildender Künstler sich mit derartigen - zwar differenzierten, aber höchst unanschaulichen - Datenmengen hat abgeben mögen.
Zwar beginnt der Abschnitt zu den Unterschieden der Geschlechter mit der Darlegung über Meßverfahren begleitet von der Abbildung einer entsprechenden Vorrichtung made in Germany zur Vermessung eines Schädels. Doch auch dadurch wird kaum glaubwürdiger, daß ein praktizierender bildender Künstler je sich einer solchen Vorrichtung bedient haben wird.
Vielmehr wird deutlich, daß der Apell an „Künstler" hier nurmehr rein rhetorischer Gestus ist, mit dem der kulturelle Rang der Anthropologie im späten Kaiserreich bestätigt werden sollte. In der Tat war der Streit um die Meßpunkte eines der zentralen Probleme der jungen Wissenschaft von der Kraniometrie innerhalb der Anthropologie im XIX. Jahrhundert. Bereits 1890 konnte der ungarische Anthropologe A. v. Török die Anzahl der Messungen auf 5000 an einem einzigen Schädel bringen.
Diese positivistische Sackgasse liegt auch bei diesem Buch nahe. Schließlich sind die für einen Bildhauer etwa erforderlichen Instrumente auch im XIX. Jahrhundert nicht wesentlich von denen verschieden, die › Alberti um 1470 bereits konzipiert hatte und die Kollmann › 1886 in eine simple, aber praktische Anleitung umsetzte.
Bibliographie
Titel: »Die Gestalt des erMenschen mit Benutzung der Werke von E. Harless und C. Schmidt für Künstler und Anthropologen dargestellt von Gustav Fritsch, Dr. med., Professor der Universität Berlin.« Zweite wohlfeile Auflage. Stuttgart, Paul Neef Verlag Max Schreiber 1905.
- Titelblatt, I Blatt Druckervermerk, I Blatt Widmung, S. V - S. VII Vorwort., S. VIII Inhalts-Verzeichnis., S. 1 - S. 3 Einleitung., S. 4 - S. 35 Erste Hauptabtheilung. Uebersicht der descriptiven Anatomie. Abschnitt I. Das Skelett und die Bänder. a. Die allgemeine Anlage., S. 36 - S. 73 Abschitt II. Die das Skelett bedeckenden Weichteile., S. 74 - S. 130 Abschnitt III. Die äussere Körperform., S. 131 - S. 141 Dritte Hauptabteilung. Abschnitt VII. Die graphischen Methoden der Darstellung., S. 142 - S. 148 Abweichende Proportionsverhältnisse der Hauptlebensalter / b. Anwendung des Proportionsschlüssels auf Werke der Kunst, S. 149 - S. 167 Anhang. Grössenverhältnisse der Gesichtsteile und des Körpers nach Messungen am Lebenden. A. Die Proportionierung der Gesichtsteile in Zahlenwerten. / B. Die Proportionen des menschlichen Körpers in Zahlenwerten., S 168 - S. 169 Literatur-Verzeichnis., S. 170 - S. 173 Sachregister., Tafel I. - Tafel XXV., II Blatt Buchanzeigen.
Exemplar: Weimar, Bauhaus-Universität › digital; Privatbesitz.
© WP.Gerlach 12.12.1999, revidiert 07.2019.