Kommentar
Eigentümlich mag es erscheinen, daß innerhalb von drei Jahren zwei umfangreiche, großformatige Tafelbände erschienen, in denen die Köpfe Erwachsener aus allen möglichen Teilen der Welt nacheinander in ihren proportionalen Eigentümlichkeiten vorgestellt wurden: von dem Bildhauer Schadow (› 1835) und von dem Mediziner und - seit 1844 Rektor der Universität Leiden - Sandifort ab 1838.
Sandifort (*1779 - † 1848 Leiden) stellt nun das bei Schadow eher beiläufige Thema der Proportion des Kopfes in den Vordergrund. Schadow hatte das in einer davorliegenden Veröffentlichung separat abgehandelt (› 1830 und 1834).
Sandifort griff damit die von Camper (› 1791) in Leiden begründete Tradition der Kraniometrie zu dem Zeitpunkt auf, als deren spektakulären Ersterfolge - besonder durch Gall und Spurzheim in ihrer speziellen charaktereologischen Kranioscopie internationalisiert - sich bereits dem Ende der Glaubwürdigkeit näherte.
Für bildende Künstler kaum mehr von Interesse wurde die Kraniometrie - von Blumenbach begründet - ein wichtiger Zweig der rassenkundlichen Anthropologie des XIX. Jahrhunderts. Durch die ideologische Vergewaltigung in der ersten Hälfte des XX. Jahrhunderts miskreditiert, hat sie heute noch in ihren Grundprinzipien unverändert als Fachdisziplin der Kriminalanthropologie ein spezifisches Nachleben.
Bibliographie
Titel: »Tabulae craniorum diversarum nationum. Delineavit et descripsit Gerardus Sandifort.« Lugduni Batavorum, Apud S. et J. Luchtmans, academiae typographos. 1838 - 1843.
Titelblatt, S. 1 - 42, Tafel 1 - 18, gestochen von Daniel Weelwaard (* 1796 Amsterdam - † 1851).
Literatur: »Bibliographisch Archief van Benelux.« Bd. 589, S. 277 - 279; Gerlach 1990, S. 30, 32, 133*, 217*.
Exemplare: Paris, Bibliotheque National de France, CPL: Sg W 168 (1−22) nicht digital; › Titel; Leiden, Universiteits Bibliotheek › Titel.
© W.P.Gerlach 12.12.1999, revidiert 06.2019.