Kommentar
1835 veröffentlichte Schadow als zweiten Teil seines »Polyclet« eine umfangreiche Studie von Kopfzeichnungen, die er zu Teilen während der Freiheitskriege zusammengetragen hatte, als Soldaten vieler asiatischer und westeuropäischer Herkunft in Berlin vorübergehend stationiert waren. Begleitet hatte ihn dieses Interesse indessen von Anbeginn seiner Tätigkeit an der Akademie.
Die frühsten verwendeten Studien gehen auf die Jahre 1785,1801 - 1803 zurück, die spätesten sind 1834 entstanden.
Unter dem Eindruck der Publikationen von Camper (> 1792), Blumenbach und Gall nahm er deren Forschungen auf, um einer Menschenrasse, die wir unter dem Namen der Caucasischen begreifen, messend sich zu nähern.
Damit betrat er wissenschaftliches Neuland. Sein Anliegen war es nach eigenen Worten das Wachstum vom Säugling bis zum Ende des Wachstums auch genauer am Kopf zu studieren. Er vermutete, daß die Gesichtsteile weit stärker zunehmen, als der gehirnfassende Teil oder der eigentliche Schädel. Daher habe ich mir erlaubt die Detailansicht eines Knaben von 11 Jahren als erste Abbildung zu verwenden.
Es bleibt erstaunlich, daß das Thema des Wachstums erst Jahrzehnte nach Schadows Publikation zu weiteren Untersuchungen in der anthropologischen Medizin Anlaß gab.
Schadow gehört zu denjenigen zur Forschung neigenden Künstlern, die entscheidend an der Entstehungsgeschichte einer wissenschaftlichen Disziplin teilnahmen. Sein Beitrag zur Phrenologie - oder Kraniologie - blieb indessen Episode der Forschungsgeschichte, zu sporadisch und wenig systematisch waren seine veröffentlichten Proben.
Zahlreiche Zeichnungen, die er von seinen Messungen vor allem in der Zeit zwischen 1820 und 1835 anfertigte, sind bis heute unbeachtet geblieben.
In seinem bildhauerischen Oeuvre, das im Wesentlichen vor 1820 abgeschlossen war, fanden diese Interessen und die daraus resultierenden Skizzen nur einen marginalen Niederschlag. Er selber jedoch berichtete, daß bei seinen frühen Portaitaufträgen derartige vorbereitende Studien für ihm bereits eine Selbverständlichkeit gewesen seien. Um beispielsweise den Unterschied in der Kopfbildung zwischen den beiden preußischen Kronprinzessinnen bearbeiten zu können, hatte er sie vermessen. Bei Goethe fand er für dieses empirische Studium indessen wenig Gegenliebe: Der verweigerte sich, als Schadow seinen Kopf vermessen wollte.
Bibliographie
Titel: Johann Gottfried Schadow, »National-Physiognomieen oder Beobachtungen über den Unterschied der Gesichtszüge und die äußere Gestaltung des menschlichen Kopfes, in Umrissen bildlich dargestellt auf neun und zwanzig Tafeln, als Fortsetzung des Policlet oder Lehre von den Verhältnissen des menschlichen Körpers.« Berlin.
- Titelblatt deutsch / französisch, S. V - S. VI Vorrede. / Préface., S. 1 - S. 112 zweispaltiger, deutsch / französischer Text., Tafel I - XXIX.
Literatur: Vgl. Schadow > 1834; Gerlach 1990, S. 34, 130 f, 132 ff, 215 f*; Gerlach 2000, : Schadow 1835.
Exemplar: München, Bayer. Staatsbibliothek: nur Textbd. › digital; Atlas › digital; Privatbesitz.
© w.p.gerlach 12.12.1999, revidiert 06.2019.