Kommentar
Pieter Camper (*11.05.1722 Leiden - † 7.04.1789 s'Gravenhage) lehrte 1774 - 1789 an der Amsterdamer Zeichenakademie Anatomie.
Aus diesen Vorlesungen des Jahres 1782 ist das 1792 von seinem Sohn Adrien posthum herausgegebene Werk hervorgegangen. Die Zeichnungen dazu entstanden zwischen 1768 und 1772 in Klein Lankum. Die Stiche fertigte der Sekretär der Amsterdamer Akademie, Reiner Vinkeles (*1741 Amsterdam - † 1816), im Jahre 1785 an. Eine deutsche Ausgabe erschien › 1792.
Camper vertrat darin ein an › Winckelmann orientiertes klassizistisches Schönheitsideal, daß er wie dieser und wie William › Hogarth als ein historisch bedingtes erkannte. Wie nun dieses Schönheitsideal auch konstruktiv kontrollierbar sei, belegte er mit dem nach ihm benannten Gesichtswinkel.
Dieser Winkel wird am vorspringendsten Teil des Oberkiefers von zwei Linien gebildet, die - im Profil gesehen - jeweils vom Kiefergelenk und vom Augenbrauenknochen ausgehend sich dort schneiden. Er demonstrierte an Lebewesen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Ethnien, wie verschieden dieser Winkel ausfällt. Beim Affen ist er besonders spitz, bei Afrikanern weniger, bei Europäern bildet er eine senkrechte Linie, schließlich beim Apoll vom Belvedere einen stumpfen Winkel. Zu beachten bleibt, daß es sich bei dieser Reihenfolge nicht um die Vorstellung von einer phylogenetischen Entwicklung handelte, allenfalls einer individuell biographischen, einer ontogenetischen also. Zu Campers Zeiten war durchaus noch die Vorstellung von der ewigwährenden, unveränderlichen Existenz aller Geschöpfe nebeneinander in Gültigkeit, wie sie etwa ebenso von dem französischen Naturkundler › Buffon vertreten wurde, eine Vorstellung, die zugleich die alte christliche Lehre von der Abstammung aller Menschen vom Urvater Adam akzeptierte. Diese Ordnung der Wesen in Form eines tableaux wurde erst Jahre später bei Lamarck (1809) und schließlich bei Darwin (1859) durch ein entwicklungsgeschichtliches Modell abgelöst.
Bibliographie
Titel:
»Redenvoeringen. Gehouden in de Teeken Academie te Amsterdam« III. Over Het Gedaante Schoon. Met XI. Plaaten en het Portrait van den Auteur.« Te Utrecht, By B. Wild en J. Altheer. MDCCXCII.
- Vortitelblatt, Frontispiz, Titelblatt, S. I - IV
Opdragt., S. V - VIII
Voorberigt, S. 1
Edele, Groot Achtbaare, Geleerde, en Konstrijke Heeren. - 95
Ik hebbe gezegd !, II Blätter
Uitlegging, Tafel I. - XI., III Blätter
Verbeeteringen.
Literatur: Gerlach 1990, S. 22, 28, 30 f, 33, 44 f, 47 f, 129, 133, 141, 151 f, 191 f*, 209, 217, 226, 232 f, 236, 238, 243, 246; F. T. Scholten, "Camper, Petrus." In: »Allgemeines Künstlerlexikon« Bd. 16, 1997, S. 31 - 32; Paul Youngquist, "In the face of beauty: Camper, Bell, Reynolds, Blake." In: Word Image, vol. 16, 2000, S. 319 - 334. / Zu R. Vinkeles: Ulrich Thieme - Felix Becker (Hg.), »Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler.« Bd. 34, 1940, S. 392; Dick Venemans, "Reinier Vinkeles illustrations in the preliminaries of the Kunstkeurig Psalmboek." In: Quarendo, vol. 30, 2000, S. 253 - 276.
Exemplar: Getty Research Institute
› digital; Privatbesitz.
© W.P.Gerlach 12.12.1999, revidiert 12.06.2019.