Kommentar
Conte Francesco Algarotti (*11.12.1712 Venedig - † 3.05.1764 Pisa) gilt als wichtiger Kunstschriftsteller Italiens, des Veneto, zwischen spätbarockem Klassizismus und neuem Rationalismus. Lange Zeit lebte er unter Friedrich II. als dessen Kammerdiener in Berlin und Potsdam Sanssouci (1740 - 1742, 1746 - 1753) und als Kunstagent am Dresdner Hof (1742 - 1746).
In diesem Essay- der in italienisch geschrieben zu erst 1755 in Venedig gedruckt, hier in französischer Übersetzung vorliegt, von der gleichzeitig in Kassel eine > deutsche erschienen ist - versuchte er die venezianische Tradition der Malerei mit klassizistischen Grundhaltungen zu vereinbaren.
Das Kapitel über die Proportion (De la Symétrie ou des Proportions S. 49 ff.) ist nach dem zur Anatomie und Perspektive vor dem zum Kolorit angeordnet, weit getrennt von dem zur Expression des Passions. Diese Reihenfolge weicht von derjenigen ab, die seit Alberti in der kunstdidaktischen Literatur üblich und auch in den Vorlagenbüchern bis ins XIX. Jahrhundert hinein abzulesen ist. Damit erscheint wahrscheinlich, daß Algarotti aus der Perspektive des Rezipienten diejenigen Aspekte in der Reihenfolge niederschrieb, die am fertigen Kunstwerk dem forschenden Auge des Betrachters sich eher erschlossen als die nachgeordneten.
Selbverständlich verweist er auf Poussin und dessen antike Vorbilder für die angemessene Proportionierung von menschlichen Figuren in Gemälden: den Apoll, Lakoon, die Venus Medici, den Faun und "surtout .. le Antinous qui servoit de modele au Poussin." (S.50, und noch einmal S. 279). Nirgends indessen geht er auf Details von Maßverhältnissen ein, verweist auf kein einschlägiges akademisches Lehrbuch zur Proportion, von denen in seiner Bibliothek dann auch keines nachzuweisen ist. Beispielhafte Kunstwerke nennt er jedoch vielfach. Besonders auffällig ist das S. 55 - 58, wo er über die Darstellung von Kindern schreibt. Das nun ist in der Tat ein häufig diskutiertes Thema erst in der 2. Hälfte des XVIII. Jahrhunderts. Sein Verweis auf den Flamant (gemeint ist der Bildhauer François Duquesnoy) ist allerdings weit entfernt von den alternativen Lösungen, die zu dieser Zeit bereits von Bergmüller (> 1723) und Preissler (> 1757) vorgelegt worden waren.
Bibliographie
Titel: »
Essai sur La Peinture, Et sur l'Académie de France établie à Rome. Par M. Algarotti, Chambellan de Sa Majesté Prussienne. Traduit de l'Italien par M. Pingeron, Capitaine d'Artillerie & Ingénieur au service de Pologne.« A Paris. Chez Merlin, Libraire, rue de la Harpe à St. Joseph, M. DCC. LXIX.
- Titelblatt, IV Blätter
A Monsieur le Marquis De Marigny., X Blätter
Preface du Taducteur., VI Blätter
Épitre Dédicatoire., S. 1
Essai sur La Peinture. - 321
... que d′avantage à l′exploitation., S. 322 - 326
Traduction Des Notes Grecques qui se trouvent dans L′Essai Sur La Peinture., S. 327
Définition de quelques termes d′art qui se trouvent répandus dans L′Essai Sur La Peinture. - 336
Fin.
Cassel, bey Johann Friedrich Hemmerde, 1769. 248 SS.
Literatur: Gerlach 1990, S. 104, 121, 131, 143, 147, 185*; B. Mazza, "Algarotti, Francesco." In: »Allgemeines Künstlerlexikon.« Bd. 2, 1992, S. 348 - 350 (1762/1763); H. Schumacher,
Francesco Algarotti: Schriften zur Kunst, Potsdam 2006, S. 108: Verzeichnis von 15 Ausgaben und 6 Übersetzungen zwischen 1756 und 2000.
Exemplar:
> digital; Privatbesitz.
© W.P.Gerlach 12.12.1999, revidiert 06.2019.