Kommentar
Der Kanon des Polyclet und seine Rekonstruktion war - durch Falconet (› 1781) im späten XVIII. Jahrhundert angestoßen - zunächst ein Thema deutscher Autoren: Goethe, Hirt, Schadow. Die Vorschläge zur Lösung liefen alle in die gleiche Richtung: viele antike Statuen vermessen, dann wird man ihn aus diesem Material ermitteln können. Es gelang nicht.
Der Ägyptologe, Bildhauer und ab 1861 Kustos der Sammlung des Soane Museums, London, Bonomi d.J. (*9.09.1796 Rom - † 3.03.1878 London) hatte eine Idee: Das Messen habe zu falschen Ergebnissen geführt. Eine Statue einer stehenden menschlichen Gestalt im Kontrapost müsse durch die leichte Krümmung immer Meßfehler zeitigen. Er interpolierte und korrigierte die gemessenen Höhen um einen kleinen Faktor. Damit erzielte er immer das bei Vitruv überlieferte Proportionalverhältnis von 8 Kopflängen.
Aus der Publikation von Leonardos Text und dessen kommentierende Zeichnung in der Akademie von Venedig durch Bossi (› 1810/1811) glaubte er den entscheidenden Mosaikstein seiner Beweisführung beibringen zu können.
Es bleibt schon erstaunlich, daß noch nach der Mitte des XIX. Jahrhunderts die längst erfolgte Historisierung des Themas zu solch argumentativen Kurzschlüssen führen konnte. Bonomi hatte schlicht übersehen, daß das, was er beweisen wollte, seinerseits Grundlage für Leonardos Rekonstruktionsversuch gewesen war.
Aus dem Titel spätere Auflagen geht hervor, daß nach seinem Tode seinem kunsttheoretischen Ansatz kriminalanthropologische Aspekte abgewonnen werden konnten.
Bibliographie
Titel:
»The Proportions of the Human Figure. With Six Illustrative Outlines. By Joseph Bonomi, Sculptor, Fellow of the Royal Society of Literature; and Member of the Syro-Egyptian Society.« London: Henry Renshaw, 356, Strand. 1856.
- Titelblatt, I Blatt Druckeradresse, I Blatt
Preface., S. 7 - S. 16 Text, Diagram I - II.
Bibliographischer Nachweis: Second Edition. London. Pp. 19. Chapman & Hall and H.G. Bohn. 1857. Third Edition. London 1872. Eine 5. Auflage erschien unter dem Titel: »The Proportion of the Human Figure. With a Project for an Instrument for the Identification of Persons for Artistic or Legal Purposes.« London, Charles Robertson and Co. 1880. 4°. 34, 3 SS., 7 Taf.
Literatur: Gerlach 1990, S. 143, 225*; Peter Meadows, »Joseph Bonomi Architect 1739 - 1808.« London 1988; M. R.-S., "Bonomi, Joseph." In: »Allgemeines Künstlerlexikon.« Bd. 12, 1996, S. 603.
Exemplar: London, The Royal College of Surgeons of England
› digital.
© W.P.Gerlach 12.12.1999, revidiert 06.2019.