Kommentar
Proportionstheorie wird mit dem Buch des Mediziners und Landschaftsmalers Carus (*1789 Leipzig - † 1869 Dresden) in einer Weise historisiert, daß man mit Fug behaupten kann: Der Gestus seines Vortrages nimmt an doktrinärer Schärfe zu, wie er die Argumente für sein System durch historische Vergleiche relativiert.
Gegen die traditionellen Autoritäten - Vitruv, Leonardo, Audran oder, eingeschränkter zwar, Dürer, die bei französischen und italienischen Autoren noch unbestritten in Geltung blieben - und eine göttlich,kosmologische Begründung setzte er auf die Autorität Natur/Naturgesetztmäßigkeit. Das macht sich in der Wahl des "organischen" Moduls bemerklich - dem Dritteil des Rückgrats -, der zuvor lediglich einmal durch ten Kate (› 1724) ins Spiel gebracht worden war. Carus gelang der Nachweis, daß dieser Modul auch während der verschiedenen Phasen des Wachstums gleichbleibend seine Gültigkeit unter Beweis stelle.
Seine Arbeit wurde von Anthropologen kritisch rezipiert, in der kunsttheoretischen Literatur aber völlig übergangen. Der Grund ist naheliegend: Sein System hatte mit anschaulicher, darstellbarer Evidenz nun überhaupt nichts mehr gemein. Bei ihm war die Gestalt des Menschen zu einer nur noch in Zahlen bezeichenbaren Erscheinung geworden. Selbst in seinem Buch wird nur das in Abbildungen anschaulich unterstützt, was ihm bedeutsam an seiner Theorie erscheint, nicht aber das, was in den früheren oder zeitgenössisch-konkurrierenden Lehren von seinen Einsichten abwich.
Bibliographie
Titel:
»Die Proportionslehre der menschlichen Gestalt. Zum ersten Male morphologisch und physiologisch begründet von Carl Gustav Carus. Mit Zehn lithographirten Tafeln.« Leipzig, F. A. Brockhaus - 1854.
- Titelblatt, I Blatt
Vorwort, I Blatt
Inhaltsverzeichnis, zweispaltige S. 1 - S. 17 mit einer Tabelle.
Bibliographischer Nachweis: Bridson 1990, S. 239, Nr. E563; Graesse 2, S. 58; Univ.Kat 1880, S. 239.
Literatur: Gerlach 1990, S. 27, 33, 139, 160, 161, 162, 223 f*, 225; H. Börsch-Supan, "Carus, Carl Gustav." In: »Allgemeines Künstlerlexikon.« Bd. 17, 1997, S. 24 - 25.
Exemplare: 1854
› digital; 1854, bis S. 17, ohne Tafeln
› digital; Privatbesitz.
© W.P.Gerlach 12.12.1999, revidiert 06.2019.