Kommentar
Nach langjährigen Diensten am kursächsischen Hofe und verschiedenen Funktionen in Mainz, Mannheim, Düsseldorf und Frankfurt kam der Sammler, Kunstgelehrte und spätere Akademiedirektor
Hagedorn (*1712 Hamburg - † 1780 Dresden) wieder nach Dresden zurück. Er betätigte sich als autodidaktisch gebildeter Maler und Radierer. Durch das Sammeln von zeitgenössischer Kunst begann er sich auch theoretisch mit dieser Materie auseinanderzusetzen.
"Die [...] Richtigkeit der Verhältnisse ist für den Zeichner, als Zeichner betrachtet, das wichtigste. Sie würde ihn aber weder gereizet, noch dem Körper das Leben und das Gefällige gegeben haben, wenn die äussern Bewegungen nicht mit Annehmlichkeit zugestimmet hätten, noch dem Abrisse lebhaft mitzutheilen wären."
Mit diesen Worten formulierte Hagedorn die Hogarth'sche Vorstellung von der line of grace und ihrer wichtigen illusionsbildenden Funktion, allerdings aus der Perspektive des bildenden Künstlers. Hogarth war von der Wirkung auf den Betrachter ausgegangen und fragte nach den Ursachen dieser Wirkung in Kunst und Natur.
Diese Perspektive auf die Funktion der angemessenen Proportion bleibt bei Hagedorn ungenannt. Auch wenn er fortfährt: "Denn was ist der Reiz in dem eigentlichsten Verstande anders, als die der Schönheit zustimmende Bewegung? Diese Bewegung wird durch die Seele gelenket, deren Ausdruck das Rührende, die Seele der Kunst wird ...", dann ist der Reiz von dem er hier spricht derjenige, der vom Modell auf den Künstler ausging und nicht derjenige, den der Betrachter von der Darstellung her erfährt.
Hagedorn hat mit Hogarth indessen gemeinsam, daß sie beide darauf insitieren Kunst habe Bewegung als Ausdruck des biologisch Lebendigen, somit von Lebenden überhaupt zu suggerieren. Das Mittel ist die Zuammenstimmung der Teile, die angemessene Proportionierung innerhalb einer Gestalt. Nicht also primär der Verweis auf eine Ähnlichkeit zwischen Makro- und Mikrokosmos, Abbildung göttlichen Schöpferwillens sei die Funktion der metrischen Stimmigkeit, sondern eine innerweltlich begründete Ausdrucksqualität, die der Natur immanent sei. Damit entgeht Hagedorn nur um weniges einer betrachter-bezogenen Begründung. Die Proportionslehre entwickelte er als Teilgebiet des Schönen und diskutierte die historischen Positionen von Dürer und Lomazzo an.
Bibliographie
Titel: »Betrachtungen über die Mahlerey.« Erster [Zweyter] Theil, Leipzig, bey Johann Wendlern, 1762.
- Titelblatt, XVI SS. Vorbericht, III Blätter Inhalt, S. 1 - 144, I Blatt Zweytes Buch., S. 147 - 496.
Literatur: Hand, "Hagedorn." In: J. S. Ersch - J. G. Gruber, »Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaft und Künste.« Bd. 2.1, Leipzig 1827, S. 155 - 156; M. Stübel, "Hagedorn." In: Ulrich Thieme - Felix Becker (Hg.), »Allgemeines Lexikon der bildenden Künst.« Bd. 15, 1922, S. 452 - 453; Gerlach 1990, S. 31, 38, 42, 43, 119, 122, 146, 148, 185 f*, 203.
Exemplar: Oldenburg, Landesbib. Erster Theil › digital; Zweyter Theil › digital; Privatbesitz.
© W.P.Gerlach 12.12.1999, revidiert 06.2019.