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Prof. Dr. Peter Gerlach


 
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  »Proportions - Body - Live«
Sources - Concepts - Arguments
Theories of Human Proportions from 1576 to 1922
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    Girard Thibault

    »Academie de l'Espée


    [Leyde] 1628

    Thibault, Titelblatt


    Thibault, Tabula I Thibault, Tabula 	Emblematica Thibault, Tab. II
    Tableau troisieme
    Thibault, Tab. III

    Thibault, Detail, border= Thibault, Detail, border=


    Thibault, S. 1


    Kommentar
    Unterscheidungsmerkmale bestimmten in der Menschheit - soweit wir es verfolgen können - Hierarchien in Gesellschaften. Zu den feudal-adeligen Privilegien gehörte das exklusive Recht Waffen zu tragen. Das vom mechanistischen Weltbild geprägte charakteristische Merkmal im XVII. Jahrhunderts ist die Kontrolle der körperlichen Erscheinung, sei es der Mimik, sei es der Bewegung: Gemessen, kontrolliert, beherrscht sollte die Erscheinung wirken, als eine pseudo-militärische Imponier-Pose. Nicht von ungefähr erschien das Werk Thibaults zeitgleich mit der Entstehung der Tanzschule von Baif und der Sprachakademie von Port Royal. Es könnte angeregt sein durch eine Darstellung auf dem Fußboden des Fechtsaales der Universiät zu Leiden, da er eine vergleichbare Darstellung auf seiner Tafel III vorführte.

    Beides, Waffe und kontrollierte Bewegung, fanden ihren Ausdruck in der Kunst des ritualisierten Fechtkampfes. Das nun aus textlichen Überlieferungen (Platon, Euklid, Vitruv) und kosmischer Einbindung zu begründen und damit als priviligiertes und kulturell überlegenes Tun zu rechtfertigen, dient die Schrift des Pariser Waffenschmiedes Thibault.
    Er verglich die Proportionslehre Leonardos mit der von Dürer. Das Quadrat mit eingeschriebenem Kreis bilden den Rahmen für die männliche Gestalt, deren Teilungspunkte diejenigen Stellen markieren, auf denen der Fuß des Fechters jeweils zu platzieren ist. Damit schreitet der Fechter im Laufe des Kampfes nicht nur das projezierte Maß des eigenen Körpers, des Mikrokosmos, sondern auch den geometrisch projezierten Makrokosmos symbolisch ab.

    Deutlich wird dies in der Inschrift des Circulus N. 5: “EX HOC CICULO ICTUS MOTU TOTIUS BRACHII VIBRATUR“ und im inneren Kreis lautet sie: “EX HOC CIRCULO ICTUS MOTU LATI SEU MEDII BRACHII INFERTUR“.

    Der Kosmos ist durch die gleichgeordnete Darstellung der vier Elemente und vier Jahreszeiten, um die sechs Planetengottheiten - vier Winde, 12 Tierkreiszeichen und 12 Stunden - gruppiert sind, auf der anderen - der TABULA EMBLEMATICA - präsent.

    Vor der Erfindung des Konfektionskleidung - deren Maße ebenfalls einer auf den Proportionssystemen des XIX. Jahrhunderts basierenden Maßnahme beruhten - ist diese Fechtanleitung nach der Architekturtheorie eine erste praktische‚ kommerziell nutzbare Umsetzung der klassischen Proportionstheorie.

    Waffentechnische Neuerung machte Thibaults Werk aktuell. Die Nutzung der Spitze des Degens im Kampf - deren Ziel die Lunge des Gegners wurde - statt der traditionellen Schneide des Schwertes gegen Ende des XVI. Jahrhunderts bedingte eine neue Bewegungsstruktur, die auch mit der bei der Nutzung des Dolches als Waffe kaum vergleichbar war. Diese Bewegungen werden hier nach einem Prinzip der effektiven Gesten dargelegt, die sich nach den gleichen proportionalen Regeln richten, wie die des Körpers selber. Dabei spielen die von den Gelenken bedingten mechanischen Regeln jedoch keine Rolle. Die Beherrschung des Körpers erfolgt nach Regeln, die außerhalb seiner selbst liegen - also Kunst sind.

    Phythagoräische kosmologische Projektion eher denn Analyse der Struktur des Bewegungsapparates des menschlichen Körpers ist daher der Inhalt des aufwendigen und teuren Buches von Thibault. Um 1643 erfand Gasparo Berti oder Evangelista Torricelli das Barometer auf der Grundlage von zwischen 1635 und 1638 von Galilei angestellten, aber nicht mehr fertiggestellten Untersuchungen der Wirkung von Saugpumpen. Descartes verfasste 1631 eine Überlegung zur Bestimmung des atmosphärischen Drucks: Mechanik und Wirkung von Luft war demnach ein vielfach bewegendes Thema der Zeit, sowohl kommerziell als auch kriegsökonomisch.

    Aus neuartiger Perspektive hat dieses Buch sicherlich seine Funktion als rückwärts gewandte Bestätigungsideologie zu erfüllen gehabt auch für eine Vielzahl von repräsentativen Bildnissen, die mit daraus abgeleiteten, vielfältig genutzten Posen - auch unabhängig vom Akt des Fechtens - den sozialen Rang noch während der drei folgenden Jahrhunderte unübersehbar signalisierten.

    Bibliographie
    Thibault 1628, Bibliographie
    Titel: »Academie de l'Espée de Girard Thibault d'Anvers‚ ou se demonstrent par Reigles Mathématiques sur le fondement d'un Cercle Mystérieux la Théorie et Pratique des vrais et iusqu'a présent incognus secrets du Maniement des Armes â Pied et â Cheval.« Leyde‚ ex Officina B. & A. Elzevirana‚ M. D. CCVIII. [1630]. gr.-fol.,
    - Titelblatt, XI Tafeln Widmungen, I Tafel Advertissement, I Tafel Extraict, I Tafel mit Portait des Autors, je 4 - 6 SS. Text zu 33 Tafeln in Livre I. , 13 in Livre II. davon 45 doppelseitig.; Kubik Ed.‚ 2005.
    Literatur: Hollstein, »Dutch and Flemish Etchings, Engravings.« Vol. 3, 1949‚ S. 90, no. 327 (W. 101); Gerlach 1990‚ S. 19, 39, 168*; »Allgemeines Künstlerlexikon.« Bd. 12, 1996‚ S. 414 - 415 (s.v. "Schelte Amdamzs Bolswert, Stecher").

    Exemplare: Paris, Bibliotheque national de France digital; Nachdruck russisch 2012.


    © wp.gerlach 12.12.1999‚ update 06.2019.



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