Kommentar
Ph. D. Henry Wampen - ursprünglich Heinrich Wampe - ist ein unbeschriebenes Blatt, seine Biographie völlig unbekannt. Da aber einige seiner in London erschienenen Bücher aus dem Deutschen übersetzt worden sind, könnte er deutsprachiger Abstammung gewesen sein. Er war zum Dr. Phil. promoviert und Professor der Mathematik in London geworden. Soweit läßt sich das aus dem Titelblatt seines Werkes entnehmen.
Der Inhalt deutet aber einiges mehr an. Adressiert ist das Werk an auszubildende Künstler - genauer gesagt: bildende Künstler im weitesten Sinne, also auch diejenigen, die Kunsthandwerker o.ä. werden wollten. Das belegt Wampens Argument, daß für eine Darlegung der Proportionslehre Vorkenntnisse in Anatomie - wegen der Terminologie - erforderlich seien. Sein Argument, daß eine Konstruktion von (männlichen) Proportionstypen von allen Erscheinungen an der menschlichen Gestalt, wie Haltung, Auftreten, Handlung etc. abstrahieren müsse, ist ebenso, wie das zuvorgenannte, ein traditionelles Argument der bildkünstlerischen Proportionslehren. Er allerdings fügte dem ein zeitgenössisch neues hinzu, wenn er auf ägyptische und assyrische Bildwerke verwies, an denen man eben jene Typisierung fast genau so gut wie an der Natur studieren könne.
Im gleichen Satz wandte er sich gegen das Studium nach Werken der bildenden Kunst. In denen seien eben alle jene willensbedingten Elemente zugleich - der jeweiligen Darstellungsabsicht gemäß - mit dargestellt. Genau aber von denen sei doch gerde abzusehen.
Die von ihm vorgestellte Proportionslehre verhelfe einer wahren Idee vom ästhetisch Schönen habhaft zu werden, insofern sich diese in der höchst möglichen Form - der Gestalt des Menschen - materialisiere. Dessen perfekte Geometrie gelte es zu konstruieren. Die Grundlage bilde die Vermessung einer großen Anzahl lebender Individuen, die ihn zu drei Typen geführt habe: der schlanken, der mittleren und der gedrungenen Gestalt.
Nirgends verwies er auf ältere Werke der Proportionslehre, denn schon bei Alberti fand sich das statistische Argument, bei Dürer das statistische und das der verschiedenen Typen (um nur die frühesten zu nennen). Die Kontroverse, ob lebende Modelle oder Kunstwerke die besseren Vorbilder seien ist in jedem voraufliegenden Jahrhundert exemplarisch für jede der beiden Positionen beantwortet worden.
Anthropometrie war seit dem XVII. Jahrhundert eine der selbstverständlichen Arbeitsweisen, wenn auch kaum an den Kunstakademien empfohlen oder gar praktiziert. Daraus läßt sich nochmals eine Bestätigung dafür finden, daß Wampe sein Werk für die Grundausbildung verfaßt hat. Indessen ist die in seinem Kommentar nicht erwähnte Vorlage eines Schnittmusters (Taf. V. - VIII.) der Beleg, daß er als Adressat eher Werkstattausbildung im Blick hatte als die an der Kunstakademie.
Bibliographie
Titel:
»Anthropometry: or, Geometry of the Human Figure.« London. J. Williamson, from the original as Published by the author 1864.
»Dr. Wampen′s World renowed System of Anthropometry assimplified and americanized by J. Happle-Hutcheson with his latest improved set of thirty-six unit graduated Scales.
2nd Edition Chicago, J. Happle-Hutcheson 1903. 81 zweispaltige SS., unnum. Abb. im Text.
Literatur: Gerlach 1990, S. 230*.
Exemplar: Oxford, Bodleian Library
› Titel; Washington, Library of Congress: 2
nd Edition 1903:
› digital.
© W.P.Gerlach 12.12.1999, revidiert 06.2019.