Kommentar
Die Autorenschaft Testelins Text gilt als umstritten, da keine Einigkeit besteht, ob er in dem hier wiedergegebenen Text den Vortrag Le Bruns referierte - was seine Aufgabe als Sekretär der Akademie (seit 1650, 1681 als Protestant ausgeschlossen) gewesen wäre - oder ob hier ein anderer, von Testelin verfaßter Text abgedruckt ist.
Eine Rolle spielt die Entscheidung darüber schon. Wäre er das Protokoll des Vortrags von Le Brun, wäre dieser Text die zweite authentische Quelle für den Inhalt dieses Vortrags, den wir ansonsten nur aus einem von dem vormaligen Assistenten Le Bruns, Nivelon, verfaßten Manuskript kennen.
Testelins Illustrationen geben den Teil eines Vortrags wieder, der sich mit der Gestaltung von Passionen befaßt. In diesem Text berichtet Testelin allerdings über einen anderen Aspekt des Problems, indessen nur sehr summarisch, was er durchaus z.B. aus der wenige Jahre zuvor in französischer Übersetzung erschienenen Physiognomik von Della Porta sich angelesen haben könnte. Die offene Frage bleibt, ob Le Brun sich mit Physiognomik als der Lehre von den durch Konstellation der Temperamente bedingten Charakterunterschieden befaßt hat oder nicht.
Nirgends in seinen Darstellungen der Pathognomik (dem mimischen Ausdruck von Leidenschaften) berücksichtigte Le Brun die unterschiedlichen Auswirkungen in der äußeren Erscheinung der gleichen Emotionen bei unterschiedlichen Charakteren.
Das aber war einer der bereits zeitgenössischen Kritikpunkte an Le Bruns Lehre. Aus diesem Text Testelins läßt sich aber ein Beitrag Le Bruns zur Proportionslehre sehr wohl, indessen zur Physiognomik nur bedingt erschließen.
Bibliographie
Titel: »Sentimens des plus habiles Peintres sur la Pratique de la Peinture et Sculpture. Mis en Tables de Preceptes, avec plusieurs Discours academiques, ou Conferences tenuë en l'Academie Royal dedit Arts, en presence de Monsieur Colbert, Conseiller du Roi en tous ses Conseils, Controlleur General des Finances, Surintendant & Ordonnateur des Bâtiments du Roi; Jardins, Arts & Manufactures de France, Protecteur de ladite Académie, asemblée generalment en des jours solemnels pour la distribution du Prix Royal. Par Henry Testelin, Peintre du Roi, Professeur & Secretaire en ladit Academie.« A Paris, Chez la Veuve Mabre-Cramoisy. M. DC. XCVI.
- Titelblatt, V Blatt Preface, Planche I - III, Text S. 1 - 40.
Bibliographischer Nachweis: BM 236, S. 522; Cat.Gen 184, S. 901; Cicognara 360; NUC-Pre 587, S. 525.
Literatur: Anonym, "Testelin, Henri." In: Ulrich Thieme - Felix Becker (Hg.) »Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler.« Bd. 32, 1938, S. 561; Gerlach 1990, S. 174*, 228, 233.
Exemplare: Paris, Bib. nationel de France › digital; Berkely, Univ. of California Library › digital; Privatbesitz.
© W.P.Gerlach 12.12.1999, revidiert 06.2019.