Kommentar
Curzio Bergonzoni (gelegentlich fälschlich auch Bergonzini, *1851 - † 1896 Modena) entwarf keine eigene Proportionstheorie, nicht einmal eine akademisch anwendbare Lehre legte er vor.
Er war als Internist publizistisch vor allem zu Problemen der Baktereologie hervorgetreten.
Eindringlich - wie bei Alberti - wird von ihm auf die wichtige Rolle der Aneignung von bestimmten, fundamental unerläßlichen Kenntnissen eingegangen: Anatomie und Proportionslehre. Scheinbar Banales, aber doch immer wieder Wahres. Von jeder neuen Generation erst zu erarbeiten, ja in seiner Tragweite erst zu begreifen, wenn es so eindringlich von der akademischen Autorität vorgestellt wird.
Dem rhetorischen Repertoire eines Akademikers zuzurechnen ist die Wahl eines exemplarischen Pars pro Toto: Bergonzoni wählte den Camperschen Gesichtswinkel als solchen. Nahezu 100 Jahre nach Campers Rede vor der Amsterdamer Akademie gehörte Camper und seine Idee zu den in jedem historischen Überblick zitierten Autoritäten in Sachen Kenntnis von schöner Menschengestalt. Historische Zusammenfassungen wuchsen sich im XIX. Jahrhundert - seit Bossi und Schadow - zum akademischen Minimum einer jeden Publikation aus. Kritisch reflektiert oder kollagiert: Die Verzeitlichung und zugleich die Vergänglichkeit des Wissens gerann bald zum puren Gestus.
Ein akademisches Vanitasmotiv von sprachbildlicher Einprägsamkeit wurde unvermeidbar Teil der Proportionslehre des ausgehenden XIX. Jahrhunderts.
Bibliographie
Titel: »L'importanza dell'anatomia nelle arti figurativi: Discorso di Curzio Bergonzoni.« Modena 1886.
Bibliographischer Nachweis: Clio 1, S. 437.
Literatur: Gerlach 1990, S. 143, 238*.
Exemplar: nicht digital.
© W.P.Gerlach 12.12.1999, revidiert 06.2019.