Es mußte natürlich ein Schriftsteller - der 29jährigen
Gottfried Bürgel - sein, der den Worten mißtrauisch gegenüber geworden war.
Sein durchaus barock-ironischer Titel verheißt die Kunst die Gemüter anderer Menschen auch - wohl auch vor allem - „wider ihren Willen, und wenn sie sich noch so zu verstellen suchen, dennoch gleich auf den ersten Anblick zu erkennen“. Tefflicher kann man ein Programm für Seelenspionage nicht anpreisen. Sein Rezept ist nicht etwa das, welches Sigmund Freud als zentralen Bestandteil seiner Psychoanalyse etablierte, nämlich das Wort des Probanten, seine Erzählung, seinen mündlichen Bericht über seine Träume und Erinnerungen, sondern Bürgel macht in gut physiognomischer Tradition auf die Erkenntnisqualität der Beobachtung, also der optisch wahrnehmbaren Anzeichen aufmerksam, die ihm etwas über das Innenleben seines Gegenüber verraten könnten, wie es auch in der juristischen Tradition des › „geheimen Protokolls“ praktiziert wurde.
Die Gesten und Minen des Gesichts, die Farbe der Haut etc.: das sind die Indikatoren, die schon immer Beobachtungsziel der Physiognomiker seit der Antike gewesen sind.
„... nunmehr aber allen vernünfftigen, tugenhafften, Ehr=liebenden und redlich=gesinneten ...“ lobt er seine potentiellen Leser. In den Zeilen, die er seinem Frontispiz unten hinzusetzen ließ, um ihnen durchaus nur wohlanständige Absichten bei ihrer Seelenspionage zu unterstellen. Das aber dürfte in der adligen Gesellschaft des XVIII. Jahrhunderts - wie der ebendort vorgeführte Personenkreis - kaum so einfach gewesen sein. Denn wie konnte man die mit einer Maske verdeckte Mimik noch beurteilen? Dann aber fährt er fort:
„dabey aber auch nicht gerne betrogen seyn wollenden Gemüthern zum Besten ans Licht gestellet.“
Ob darin die Absicht formuliert sein sollte, daß „sprachliche und nichtsprachliche Zeichen sich in ihrer Bedeutung aufschlußreich dementieren“, nochdazu „hoffnungsvoll“, das mögen die Sprachkenner der barocken Literatur unter sich ausmachen.