Auf die kommunistischen Aufstände im Ruhrgebiet vom März 1920 wird das Gemälde bezogen.
Brthel Gilles schildert eine Szene hinter einer improvisierten Straßenbarrikade. Zwei der drei Männer zielen mit ihren Gewehren, Nachbarn des Malers in Köln waren die Modelle. Sie sind im Profil zu sehen, die Lippe aufgeworfen, das Auge zugekniffen: angespannt, wie es beim Schießen denn sein muß. Der Dritte lädt sein Gewehr nach und wendet dabei den Kopf von unten her zum Betrachter hinauf. Er blickt zornig, angestrengt und ruft dem Betrachter⁄Maler etwas zu.
Auffällig indessen ist Anderes an der Darstellung. Geleckte Reinheit herrscht vor. Zerbrochener Hausrat, Einschußlöcher an einem Stuhlbein: Alles ist peinlich akkurat und vor allem sauber. Selbst die Männer tragen fleckenlose Kleidung, der einzig sichtbare Schuh ist blank gewienert. Nur ihre von der Anstrengung je unterschiedlich getönten Gesichter sind unrasiert, eine Narbe und ein Schweißtropfen sind eingetragen, die Fingernägel ziert ein schwarzer Rand. Der verstümmelte Daumen der linken Hand des Mittleren und die Narbe an der Schläfe des Hinteren sind die einzigen Verletzungsspuren, die an den Körpern der Männer sichtbar ins Bild gerückt sind.
Fotorealistische Kolportage, ein historisches Ereignisbild, aber den Akteuren so nahe auf den Leib gerückt, wie es in der Geschichte dieser Gattung seit den Barrikadenbildern der 30er Jahre des XIX. Jahrhunderts zu finden ist. Glasklar erscheint aus dieser Sicht jedes Detail, kein Pulverdampf trübt die ebenso klare Winterluft dieses Frühjahrs 1920. Eine befremdliche Stille beherrscht das Bild, aus dem der Ruf des Hockenden umso deutlicher aufklingt. Kaum benennbar, aber doch von präziser Eindeutigkeit ist der Gesichtsausdruck durch die wenigen Markierungen seiner ansonsten glatten Gesichtshaut. Die weit geöffneten Augen, die wulstig verzogene linke Augenbraue und der S-förmige Streifen, der sich vom Ohr zum Kinn über die linke Wange zieht, signalisieren erregte Anspannung. Ein Gesichtsausdruck, der völlig angemessen erscheint und dennoch so künstlich ist, daß er von keinem Schauspieler so nachzuahmen wäre. Eine individuelle Variante auf das Motiv des laut Rufenden, wie es sie vielfältig in der bildenden Kunst gibt?
Jedenfalls der gelungen eingefangene Augenblick, der geschickt inszenierte Ausschnitt, der im Atelier nachgestellt wurde.
© W.P.Gerlach 12.12.1999, revidiert 08.2019.