Duvals Buch von 1889 ist ein Laien-Handbuch für anatomische Studien. Bezeichnend für den Zeitraum des Erscheinens ist die Aufnahme eines Kapitels über die Gesichtsmuskeln, speziell über diejenigen, die für die Mimik von Bedeutung sind. Die Illustrationen entnahm Duval den Veröffentlichungen Supervilles von 1827 und denen von Duchenne von › 1862.
Seit den Forschungen von Charles Bell (› 1806) forderten Anatomen immer wieder die wissenschaftlich fundierte Korrektheit der künstlerischen Darstellung von Gemütszuständen. Charles Darwin (1872, dt. › 1874) hatte erst wenige Jahre zuvor sich eigens des Vergleichs von menschlichem und tierischem mimischem Ausdruck angenommen.
Längst hatte sich bei bildenden Künstlern jedoch ein anderes Prinzip durchgesetzt: nämlich das ästhetische Urteil an Stelle der wissenschaftlichen Stimmigkeit zu setzen. Das heißt: die Darstellung soll für den Betrachter wahrscheinlich, überzeugend, richtig anmuten, auch wenn dabei die anatomische Korrektheit vernachlässigt sein sollte. Dennoch galt in der akademischen Ausbildung junger bildender Künstler weiterhin der Zwang sich ein anatomisches Grundwissen anzueignen.
Alle Akademien Europas hatten daher einen Fach-Anatomen in ihrer Professorenschaft.
Viele von diesen befleißigten sich ein Lehrbuch herauszugeben, in dem sie betonten, wie unerläßlich anatomische Kenntnisse für bildende Künstler sei. Sie beförderten damit einen naturalistisch-mimetischen Kunstansatz, der durchaus am Kunstmarkt des späten XIX. Jahrhunderts mehrheitsfähig war, da diese Kunstrichtung selbst von staatlicher (in Deutschland: kaiserlicher) Seite bevorzugt wurde, so daß Versuche von Alternativen in der modernen Kunst sowohl in Frankreich, als auch in Deutschland von der Kritik immer wieder als deformierende Karikaturen nur interpretiert und damit als minderwertige und verfehlte Kunst beiseite geschoben werden konnten.
Ein Buch wie das vorliegende lieferte für diese Ablehnung scheinbar unumstößliche, objektive Argumente.
© W.P.Gerlach 12.12.1999, revidiert o8.2o19