Auf den ersten Blick erscheint es erstaunlich, daß bereits 1830 ein Buch (das dritte der Vorliegenden) erscheinen kann, in dem zur Beurteilung des Menschen von seinem Äußeren her auch die Handschrift aufgeführt wird. Gilt doch die Graphologie als eine Methode, die erst durch Klages am Beginn des XX. Jahrhunderts entwickelt worden ist. Das ist auch weiterhin richtig.
Die Graphologie als methodisches Verfahren hat Ungewitter aber keineswegs erfunden. Zum erstenmal unternahm Aldorisio 1611 den Versuch die Handschrift als Indikator für menschliche Veranlagungen auszuwerten. Ihm folgte Baldi (1622) und Meyfart (1634) mit einem vergleichbaren Versuch. Doch sie blieben relativ unbemerkt. Das hatte einen einfachen Grund. Wer schrieb schon selber vor Einführung der allgemeinen Schulpflicht (erst im späteren XIX.Jh. weitgehend durchgesetzt!)? Man hatte Schreiber, Sekretäre: man ließ schreiben, denn die allermeisten konnten nicht schreiben. Für sie gab es die Lohnschreiber auf dem Markt, wie es bis vor kurzem - vor Erfindung des Iphones - in vielen asiatischen und afrikanischen Ländern noch anzutreffen gewesen ist.
Erst am Ende des XVIII. Jahrhunderts mit seiner literarischen Mode des Briefeschreibens - und den Anfängen der Einführung der allgemeinen Schulpflicht - taucht die Idee der Graphologie wieder auf: Grohmann (1792) behandelte das Problem erneut, ohne indessen daraus ein System zu entwickeln. Die Idee blieb virulent, da in der Opposition zu Lavater eine ganzheitlichere Betrachtung des Menschen und seiner Lebensumstände als Indikatoren für seine charakterliche Konstitution gefordert wurde (u.a. von Goethe).
Ungewitter sprach in seinem Buch nur das an, was in vielen gelehrten Köpfen seiner Zeit selbstverstöndlich schien. Die Idee blieb präsent. Seidel (1858), Vié (1889) und Stocker (1896) sind nur einige der Autoren des XIX. Jahrhunderts, die sich des Themas annahmen. Erst Ludwig Klages war dann mit seiner Psychodiagnostik ab 1905 der Erfolg beschieden die Graphologie zu einem geschlossenen System auszubauen.
Im erste Buch referiert er zur Physiognomik nach › Lavater. Gelegentlich sind Verweise auf andere Autoren eingestreut, z. B. auf › Pernetti oder della › Porta. Das zweite Buch zur Hirnschädellehre beginnt er mit kurzem Referat nach › Camper, um dann ausführlicher nach › Gall zu referieren.