Des böhmischen Zeichners uns Kupferstechrs Václav Hollars 1645 gefertigten Reproduktionsstiche nach Leonardos sogenannten Groteskköpfen waren das einzige Hilfsmittel um ca. 140 Jahre nach der Entstehung der Zeichnungen diese im weiteren Europa bekannt werden zu lassen. Wie gesucht diese sehr feinen, kleinformatigen Radierungen waren, lehrt ihre zahlreiche Wiederauflage.
Zwischenzeitlich war indessen von den Gebrüdern Carracci in Bologna eine neue Gattung des physiognomischen Kommentars erfunden und von Bernini 1665 in Frankreich am Pariser Hof samt dem neuen Begriff „ritratto caricato ⁄ portrait chargé“ vorgestellt worden. Damit gerieten auch Leonardos aus ganz anderen Beweggründen entstandenen Skizzen für Jahrhunderte in diese neue Gattung. Erst Gombrich (1960⁄1968) hat den Sachverhalt aufklären können. Dadurch wissen wir heute aus der anschließenden Forschung, daß Leonardo die Grenzen zwischen tierisch und menschlich erscheinender Physiognomie ergründen wollte. Dabei hat er u.a. auch die von Hollar ausschließlich radierten physisch entstellten Gesichter skizziert, die er auf ihre Tierähnlichkeit hin untersuchte. Unter diesen Skizzen dominieren Köpfe von Menschen, die aufgrund ihres Alters deformierende Entstellungen aufweisen. Bei Hollar sind sie nun paarweise angeordnet, wie sie etwa in einer seinerzeit gebräuchlichen montierten Aufbewahrungsform einer privaten Sammlung vorgelegen haben mögen (Sammlung Arundel, in der sich keine der von Leonardo zahlreich gezeichneten Tierphysiognomien befanden), wo Hollar sie abzeichnen konnte. Insofern stellen diese Blätter ein einmaliges, auch historisch-dokumentarisch wichtiges Bindeglied zwischen Physiognomik-Studien und Karikatur dar, wie sie später nie wieder vorgelegt worden sind. Daß sie anregend auf manchen Künstler seit dem XVII. Jh. gewirkt haben - und sich damit Hollars im Untertitel erwünschter Zweck doch erfüllt hat - läßt sich im einzelnen nicht immer mit Sicherheit nachweisen.
© W.P.Gerlach 12.12.1999, revidiert 07.2019.
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