„G. B. Gent. Philochirosophus“ (Freund der Hand-Lehre): hinter diesem Pseudonym verbarg sich der englische Physiker und Mediziner John
Bulwer. Er hat mit seinem Buch eine Forderung erfüllt, die 1605 Francis Bacon angemahnt hatte, nämlich sich der Gebärdensprache anzunehmen, weil sie doch sehr viel über den Charakter eines Menschen verraten könne.
Das aber war keineswegs ein neuer oder sonderlich origineller Gedanke. In einem ganz anderen gesellschaftlichen Umfeld war schon seit nahezu 100 Jahren das Gebärdenspiel einer besonderen Personengruppe systematisch beobachtet und analysiert worden. Nach Vorschrift des Artikel 71 der Peinlichen Gerichtsordnung - der von Karl V. 1532 veranlaßten neuen Rechtsordnung im Hl. Römischen Reich - mußte bei jedem Prozess ein "geheimes Protokoll" angefertigt werden, in dem alle unwillkürlichen Regungen von Zeugen und Angeklagten aufgezeichnet wurden. Dieses Protokoll war nur für den Richter bestimmt, der es für seine Urteilfindung zur Einschätzung der Glaubwürdigkeit auswerten konnte, wie sich in der Dissertation von Stryk (›1685) bestätigt findet (Schneider 1993).
Noch davor spielte in den Illuminationen mittelalterlicher Handschriften die häufig maßstabsmäßig übergroß gezeichnete Hand von religiösen und weltlichen Entscheidungsträgern eine große Rolle. Auch dort war die Geste ein juristisch bedeutsames Zeichen (Sachsenspiegel): der Herrscher gab seine Anordnungen sichtbar durch Fingerzeige zur Kenntnis.
Bulwers Überlegungen führen also für einen allgemeinen Bereich der Gesellschaft - nun auch im positiven Sinne - nur das jederman vor Augen, was zuvor für einen negativ sanktionierten Bereich - Täuschungsabsicht, Verstellung u.ä. - bereits längere Zeit praktiziert worden war.
In der Tat erscheint es heute verwunderlich, daß in England und nicht in Italien ein solches Buch zuerst geschrieben wurde. In der bildenden Kunst hatte sich nicht erst Dürer in Einzelstudien mit der Gestensprache befaßt, Leonardo hatte vor ihm, und viele andere italienische Künstler nach ihm das als selbstverständlichen Teil ihrer Studien praktiziert. Nicht von ungefähr erscheint dann nach Lomazzos Abhandlung (1584) in Stichvorlagen aus Venedig und Bologna immer zumindest ein Blatt mit Studien der bewegten Hand, wie z.B. bei Gatti nach Guercino (>1619), später dann nach diesen Vorbildern auch im Norden bei Lairesse (>1707).