Die vier Stiche von Adamo
Scultori (*um 1530 in Mantua - † 1585 Mantua, ausgebildet in Werkstatt des Vaters als Kupferstecher, ab ca. 1573 tätig als Stecher und Verleger in Rom, zeigen Physiognomien, die übersteigert oder karikiert erscheinen.
Dieser Eindruck entsteht, da die Affekte die gesamte Physiologie der Gesichter erfassen. Neben Augenbrauen und Lidern betrifft dies auch die Gesichtsform und die Haartracht: Das lächelnde Gesicht erscheint abgerundet, das spöttische mit den flammenden Haarlocken zugespitzt, das schmerzhaft verzogene Antlitz ausgebeult, und die ungerührt-trotzige Haltung der Kinderfigur wird durch das massige Doppelkinn bestätigt.
Scultori rekurrierte auf Darstellungen des Raffael-Schülers Giulio Romano, der sich wiederum an römischen Schauspielermasken orientiert hatte. Bezieht man Scultoris Physiognomien auf die antike Dramentheorie, so stehen sie eindeutig für Komödie, Satyrstück und Tragödie, während das pausbäckige Kindergesicht als Genius zu lesen ist.
Die Einteilung nach dramatischen Genres und Stilhöhen hatte eine folgenreiche Wirkungsgeschichte im gesamten Geistesleben seit der Antike. Sie erscheint explizit bei Vitruv, der für Architektur und Kunst eine modal angemessene Ausschmückung postuliert. Im XVI. Jahrhunderts war diese Vorstellung überaus populär. Aufgegriffen wurde sie z.B. in den Schriften des Vitruv-Herausgebers Daniele Barbaro und in den kunsttheoretischen Traktaten Lomazzos.
Darstellungen wie Scultoris Stiche sind so keineswegs als selbstgenügsame Archäologie zu verstehen, sondern verweisen auf die zeitgenössisch moderne Kunsttheorie, die antike Systeme mit neuen Darstellungsprogrammen - etwa, im Falle Lomazzos, spätmanieristischen - verband. Sie haben auch eine Mittlerstellung in Bezug auf die Neuzeit. So griff Le Brun (> 1668) die Tradition der standardisierten Masken auf- um mit Serien schematisierter Figuren anstelle statischer Momentaufnahmen die Darstellung transitorischer Affektverläufe durchzuspielen, Physiognomie dynamisch ins Bild zu bannen.
Dieser Ansatz, der die neuzeitliche Darstellung von Physiognomie bestimmen sollte, ist so letztendlich das Erbe der antikischen Masken, wie sie zum Beispiel Scultori zeigt.