Vortrag gehalten am 19. August 2009 im Ludwig-Suermond-Museum zu Aachen anläßlich der Gedenkaustellung für Herbert Bardenheuer, † 30. Juni 2007
Sehr verehrten Damen und Herren!
Am 30. Juni 2007 verstarb unerwartet der am 27. Oktober 1949 in Eschweiler geborene Aachener Maler Herbert Bardenheuer, nach kurzer Krankheit. Zu seinen Ehren halte ich diesen Vortrag, um seine nicht nur regional erfolgreiche Wirksamkeit als bildender Künstler zu würdigen.
Unter der Überschrift "Eine Handschrift des Misstrauens" war ich der Aufforderung von Margit Bardenheuer vor zwei Monaten diesen Jahres gefolgt für die am 3. Juli eröffnete Retrospektive hier im Suermond-Ludwig-Museum einen Textbeitrag für den Katalog zu verfassen.1
Die Wahl dieses Titel für meinen Beitrag wurde als problematisch angesehen. Das hat mich zunächst überrascht. Ich kann es aber auch verstehen, wenn man den Begriff vom Mißtrauen auf sein Verhalten gegenüber anderen Personen beziehen wollte. Bardenheuer als Person habe ich immer als aufgeschlossen leutseelig, als einen stets offenen Gesprächspartner, Polemik und Streit absolut abgeneigt, erlebt. Und gerade deswegen will ich heute die Gelegenheit nutzen meine Vorstellungen ihnen zu erläutern, die ich mit dieser Wahl des Titels verband. Nicht weil ich meine mich rechtfertigen zu müssen - ganz im Gegenteil.
Das war für mich so naheliegend und das aus mehreren Gründen: Einmal aus der langjährigen Bekanntschaft mit Herbert Bardenheuer und zum anderen, weil mir der einleitende Text eines anderen Katalogs in Erinnerung kam, der 1999 im Bielefelder Kunstverein von Andreas Beaugrand unter dem Titel: „Nullbedeutung ‹ › 1" erschienen war.
Diesen Text möchte ich ihnen nicht vorenthalten. Andreas Beaugrand unternahm den Versuch Herbert Bardenheuer zu verstehen und nachzuvollziehen, was er mit dem Ausstellungstitel: „Nullbedeutung ‹ › 1" intendiert haben könnte. Äquivalent heisse Gleichwertigkeit und das Äquivalenzprinzip bedeute: „Grundsatz der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung", was aber nicht ohne weiteres erkläre, was das mit der Kunst Herbert Bardenheuers auf sich habe.
Sein nachfolgender Einführungsansatz ist einer, wie ihn - denke ich - ein interessierter Besucher mit seiner alltäglichen Erfahrung nachvollziehen könnte.
„Inmitten" - schrieb er weiter - „einer vorgetäuschten Wirklichkeit und entleerten Intimität lebt die nivellierte Mittelstandsgesellschaft von der Sinnlichkeit des Kitsches - Inmitten von Sachen, die niemand braucht, weder nützlich, noch schön, aber preiswert und flach. Zum Beweis: Es ist sicherlich eine Nachricht wert, daß Steffi Graf 1999 ihre professionelle Tenniskarriere (...) öffentlich und endgültig für beendet erklärt hat. Daß diese Nachricht über das Karriereende einer in aller Öffentlichkeit vom pubertären Pummelchen zum millionenschweren Tennisstar entwickelten Sportlerin jedoch auf Titelseiten deutscher Tageszeitungen größer und ausführlicher als die Meldung vom Tod des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignaz Bubis, plaziert wurde, ist erstaunlich und kränkt die Würde eines Menschen, der zeit seines Lebens unter den Deutschen gelitten und sich dennoch für Versöhnung eingesetzt hat. (...) Es sind nicht viele, die sich kontinuierlich und störrisch zur Wehr setzen - und das mit den Mitteln der Kunst -, zugleich aber den produktiven Werte-Wandel unserer Gesellschaft fordern und fördern und intellektuell ebenso konsequent wie interdisziplinär leben und arbeiten. Herbert Bardenheuer ist so einer: Jahrgang 1949, Maler in Aachen (....)"2
Nachfolgend verwies er auf frühe Fotobearbeitungen der späten 70er Jahre, die - ihm zufolge - einer autobiographische Motivation entsprangen: „Herbert Bardenheuer schaut unter die Oberfläche und befördert - die Schönheit ans Licht: „Schönheit ist der Glanz des Wahren," sagte Joseph Beuys, und von daher ist es erklärlich, warum Herbert Bardenheuer mit aller Energie im wahrsten Wortsinne Bilder aus Licht und Farben schafft, in denen es um diesen Glanz geht. Es scheint müßig, das Lernen aus der Geschichte zu fordern. Herbert Bardenheuer tat das auf seine Weise und setzt die Essenz realer Erfahrung ins Bild; eigenständig und individuell wehrt er sich gegen das „Hauptmann-von-Köpenick-Prinzip". Im Gegensatz zu kollektiven Auflehnungsversuchen, die Herbert Bardenheuer kennt, miterlebt hat und grundsätzlich ebenso analytisch wie ironisch kommentiert, nimmt er ganz konkret Stellung und markiert Standpunkte mit seiner Malerei, denn im Refugium des Ateliers beantwortet Herbert Bardenheuer für sich und für die, die ihn kennen und schätzen, die von Ernst Bloch im „Prinzip Hoffnung" gestellte Frage, wie der Mensch zu der Entschlossenheit gelangen kann, eine gewaltige Veränderung zu wagen.
Diese Veränderungsabsicht liegt den Bildern Herbert Bardenheuers zu Grunde, und wenn man sie erkannt hat, spürt man in ihnen etwas von den Überlegungen, die Lew Nikolajewitsch Tolstoi (1828-1910) über Kunst im allgemeinen geäußert hat: „Kunst ist nicht, wie Metaphysiker sagen, Offenbarung irgendeiner geheimnisvollen Idee, des Schönen, Gottes; sie ist nicht, wie die Physiologen unter den Ästhetikern sagen, Spiel, in dem der Mensch den Überschuß angesammelter Energie entlädt; sie ist nicht Äußerung von Emotionen durch äußere Zeichen; ist nicht Herstellung angenehmer Gegenstände; ist vor allem nicht Genuß - sondern sie ist ein für das Leben und das Glücksstreben des einzelnen Menschen und der Menschheit unentbehrliches Kommunikationsmittel, das die Menschen durch ein und dasselbe Gefühl vereint."3
Das war so geschrieben, daß ich dem noch heute bedenkenlos zustimmen könnte, wenn nicht ein unterschwelliges Gefühl mich unruhig macht, denn das war alles, was man im Katalog als Kommentar mit den zahlreichen Abbildungen von ihm zu lesen bekam. Entweder hatte er zu den in der Ausstellung damals gezeigten Gemälden nichts zu sagen oder wollte es nicht. Die Verbindung zwischen derart allgemein gehaltenen Lobeshymnen und den einzelnen Exponaten anzugehen aber scheint mir eine einschlägige Aufgabe eines Kritikers oder Kommentators zu sein. Und das will ich versuchen hier nachzuholen.
Zu Recht hatten wir in den zitierten Text bereits einen Hinweis auf die frühen Fotoarbeiten von etwa 1977-1979 erhalten. Das war die Zeit als ich Bardenheuer persönlich kennenlernte, er besuchte meine Vorlesung und Übungen und ich seine Ausstellungen seit dem und ihn später dann auch regelmäßiger in seinem Atelier.
Die erste dieser Ausstellungen sah ich 1978 im Baak'schen Kunstraum in Köln. Es waren die Polaroid-Bearbeitungen, die dort gezeigt wurden (Abb. 1, Polaroid-Manipulation, B 67, 1977). Abstrakte Lichtbilder, die durch Ausnutzung der Manipulierbarkeit der chemischen Prozesse zu Stande kamen, die sich nach der Belichtung bis zur Fixierung in den Schichten des einzelnen Fotopakets abspielten. Eine funktionierende Bildwelt wurde von ihm auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt, wie jedes Kind sein Spielzeug gerne einmal auseinander nimmt, um zu erfahren wie was funktioniert!
Das war mitnichten ein Zufall: Es waren die Jahre in denen Fotografie als Medium künstlerischer Gestaltung von einer ganzen jungen Generation entdeckt wurde, damals noch „experimentelle Fotografie" genannt - wie etwa in der „Gallery without a Gallerist" in Köln - oder auch in den Begleitausstellungen zur Fotokina unter Fritz Gruber und der ersten Galerie (Wilde) in Köln, die Fotos wie Kunst zu handeln angetreten waren. „Polaronoia" nannte er diese Produkte.
An diesem einzelnen Beispiel (Abb. 1) sehen wir zunächst nur eine dreiteilige Lichtkurve, höchst abstrakt. Beim näheren Hinsehen kommt dann aber noch ein zweites Element zum Vorschein, daß den Eingriff auf einer zweiten - der Vordergrundsebene - ausmacht: Die roten Spuren auf dem Balken, der sich von oben links bis zur Mitte des unteren, rechten Fotos erstreckt, ist ein Ornament aus aufgepinselter Farbe. Wenn man so will ein verfremdendes Element des ansonsten fotochemisch erzeugten Bildes.
1979 kam es zur Bochumer Ausstellung „Wie seh ich denn da aus".4 Alles war wieder ganz anders. Damals waren es nicht Manipulationen am Material, es waren Manipulationen am Motiv (Abb. 2: Polaroid Selbstbildnisse, 1978): Eine nicht mehr überzeugend funktionierende Welt wurde in diesen Fotos auseinander gerissen und wieder zusammengesetzt.
„Die Marke Polaroid erreichte in den 70er Jahren Kultstatus. Während ihre Beliebtheit kontinuierlich wuchs, begann jedoch ihre Glaubwürdigkeit zu wanken. Der Name Polaroid schwankte zwischen der Assoziation mit einer sachlichen Kunstform und einem spaßigen Wegwerfprodukt. Er hatte sich einerseits mit Hilfe weltweit anerkannter Fotografen zu einer respektierten und seriösen Marke entwickelt. Andererseits trugen junge, schillernde Persönlichkeiten durch ihre leidenschaftliche Verwendung der Sofortbilder zu einem Markenimage bei, welches ebenso für Genuss, Flüchtigkeit und Frivolität stand. Es wurde von „Polaronoia" gesprochen, so als ob es sich bei der Sofortbildfotografie um ein neues narzisstisches Laster handelte.5
Die Polaronoia-Serie stellt das Thema Bildnis - genauer: auch hier wieder das Selbstbildnis - zur Diskussion. Nur wird hier der technische Aufbau des Bildträgers durch entsprechende Störungen davor gelegt. Bei jedem Foto ist er vorhanden. Die Bemühungen der Industrie und des Fotografen sind aber darauf angelegt, ihn so unsichtbar als möglich zu halten. Die Illusionswerte sollen gesteigert werden, das Auge von der Technik abgelenkt bleiben. Darauf aber lenkte Bardenheuer das Augenmerk, das Bildnis verschwimmt, das industriell geforderte Produktionsziel wird durch Unbrauchbarmachung hintangesetzt. Das „garantiert gelungene Bild", das aus der automatischen Kamera kommen soll, kann nur durch die systematische Manipulation dieses Automaten wieder zum authentischen Bild gemacht werden. Damit hatte Bardenheuer einen Zweig der Bildnisfotografie für sich entdeckt, der sich lückenlos in die Geschichte der Bildniskarikatur einreiht. Aber eben auch in die der Rolle von längst überholten Fahndungsfotos während der zunächst erfolglosen Terroristenfahndung im Jahre 1978.6
Das malerische Pendant sahen wir dann in einer Ausstellung „Der Herrscher und ich. Nachbilder." Ausstellung im Fotoforum Kassel 1981. Zu den zweifellos aus der Perspektive der kunstwissenschaftlichen Literatur zu den Trivialbereichen der Bilderwelt zählenden Wahl- und Reklameplakaten bezog er die Grundierung, die Folie seiner Bilder, indem er sie übermalte (Abb. 3: Plakatübermalungen, "Der Herrscher und Ich", 1981). Nehmen wir es so wie es ist: eine spezielle Form des Zitierens, Zitieren als eine spezielle Form der Aneignung von Wirklichkeit, also des Lernens. Auch in diesen Übermalungen geht es um das gleiche Thema, wie in den vorherigen Serien: um das Bildnis. Diesmal um die Formen der Präsentation innerhalb des Illusionsraumes. Die Vorlage wurde in einer Reihe übermalt, Bilder entstanden, die Reihen von Abwandlungen erfuhren. Die Strategie ist - im historischen Vergleich beurteilt - die der Karikatur. Und die Karikatur zeichnete sich auch historisch dadurch aus, daß in ihr mit den Spielregeln der akademischen, der hohen Kunst umgegangen wird, nur werden sie dort zumeist in ihr Gegenteil verkehrt, sie dienten und dienen der Pointierung eines unerwarteten Aspektes, sie sind reinstes Konstrukt und betonen genau das, während hohe Kunst die Prinzipien der Konstruktion zugunsten der Optimierung von Illusion so weit als möglich zum Verschwinden zu bringen sich anstrengt. Das ist es was ihn bewegte, es war seine Form der Kritik an Konsumwelt, an der industriellen erfolgreichen Freizeitindustrie, wie sie von vielen wenig älteren in der rheinischen Kunstszene ebenso betrieben wurde, von Jürgen Klauke (Jhg. 1943) in Köln und Gerhard Richter in Düsseldorf, die vergleichbare artistische Strategien ausnutzten - sich gegen den schönen Schein der Illusionsmalerei zu stemmen, als Kritik am „Kapitalistischen Realismus".
Hier schon wird aus heutiger Distanz deutlicher, was im Gespräch mit ihm auch damals gelegentlich anklang: Seine andauernde Auseinandersetzung mit den Exponaten der um weniges älteren Cracks der Kunstszene: eben Gerhard Richter (Jhg. 1932, Abb. 4: Horst mit Hund / Junge Frau [bunt], 1965), A. R. Penk (Jhg. 1939) und Georg Baselitz (Jhg. 1938). Auf letzteren werde ich gleich noch zurückkommen.
In einer Serie von 15 übermalten Postkarten mit dem Motiv eines röhrenden Hirschen - 1980 entstanden (Abb. 5 - 6: Röhrende Hirsche, 1980) - wird die lustige Seite seiner Produktenkritik deutlicher, wenn er jeden dieser 15 Steroetypen mit wenigen Farbtupfern in ein Werbebild für ein anderes Produkt umwandelte, das wahrscheinlich auch bei ihnen die Assoziation eines sicherlich wohlmundenden Artikels hervorruft. Von Georg Baselitz - allerdings erst 1990 - stammt das abgebildete Gemälde (Abb. 7) mit dem Titel „Tanz im Norden", hier um 90 Grad nach links gedreht. Nicht der Inhalt, aber die Malweise, die Strategie der artistischen Mittel ist hier das vergleichbare Element, lange noch bevor Bardenheuer diesen Teil seiner Auseinandersetzung mit dem Medium Fotografie abschloß und sich an Malerei wagte. Zum Start dieses Wagnisses will ich nun übergehen.
1982 zeigte er in der Düsseldorfer Galerie „art in progress" in der Ausstellung „Futura" zum ersten mal seine gemalten Selbstbildnisse (Abb. 8: 1982, Ausstellungsfoto mit "Zyklop"), in denen er sich in einen eigenwilligen Fremden aus ferner Zeit verwandelte. Helga Scholl hat im Katalog der jetzigen Ausstellung überzeugende Worte für diese Phase gefunden, die ich ihnen hier nicht vorenthalten möchte. Sie schrieb:
"Ecce homo! Siehe da, ein Mensch! Und auch umgekehrt: selbst dann, wenn in großen Gesten Existenzfragen verhandelt werden, bestimmt Privatheit die Sicht des Künstlers auf sich selbst. Die eigenen Selbst-Bilder zu betrachten, muss mehr sein als der Blick in einen Spiegel: immer beunruhigend. Nie malt auf seinen Selbstporträts er nur sich selbst, sondern immer zugleich auch etwas Absolutes, das darüber hinaus weist. Von einem Ich geht Herbert Bardenheuer zum anderen, will immer wieder anders sein, will sich selbst erstaunen - und erstaunt uns mit eigenem Sinn. Auch in dieser Ausstellung blickt er uns entgegen - in vielen Facetten. Einmal als gespreizter Androide, ein anderes Mal als blauer Primat, mit Darwin im Nacken."
(Abb. 9: B 483, 1982)
Hier noch - wie bei den Fotoarbeiten - wird eines nicht aufgegeben, was alsbald von ihm zur Disposition gestellt wurde: der malerische Illusionsraum, jene Suggestion also, die durch die Farbanordnung provoziert, uns eine eindeutige Zuordnung von Figur und Umraum, von Nah und Fern, von Oben und Unten abnötigt. Das geschah wenig später, als er zugleich die menschliche, selbstbildnerische Gestalt aufgab - und seinen Gemälden zum ersten und letzten mal Titel gab. Er erschuf sich eine neue Gegenständlichkeit und verließ damit endgültig jegliche Reproduktion, wie sie die Fotografie selbst noch in der abstraktesten Manipulation hervorbringen mochte, an der die ersten Gemälde sich noch zu orientieren ihn nicht zu hindern vermochten. Ein Monument im Gebirge, auf einem Gipfel „Eingang" betitelt oder ein Mischwesen von 1983 - halb Frosch von hinten, halb Vogel im Profil - mit dem Titel „o.T." (Abb. 10, 1983, o.T.) Der farbperspektivische Illusionsraum indessen blieb auch hier noch unangetastet. Zwar bestimmt ein Prinzip die Komposition, streng nach den Kriterien der Wahl der artistischen Mittel der Karikatur - oder des Porträts: Das als Hauptmotiv identifizierbare Objekt/Wesen ist nah an den Vordergrund gerückt oder - im wie in diesem Fall - füllt das Geviert des Gemäldes fast vollständig aus und läßt nur geringst möglichen schmalen Umraum, der - wie Schnee oder Wolkendunst - nunmehr auf gleicher Höhe und gleicher Entfernung vom Bildvordergrund zu liegen scheint.
Überraschend erscheint auch hier, wenn man sich im etwa zeitgleichen Oeuvre der Maler des „Kapitalistischen Realismus" umschaut, daß sich diesmal bei dem 27 Jahre älteren Gerhard Richter ein vergleichbares Gemälde findet (Abb.11: Gerhard Richter, "Tisch", 1962), daß allerdings um 90 Grad gedreht werden muß, um in etwa dem zu entsprechen, was Bardenheuer intendierte. Nur bei Bardenheuer (Abb.10) ist das vegitabile Gebilde Richters mit einem verwandten Duktus einem Tierkörper angenähert. Ähnlich verhält es sich mit dem Gemälde „Eingang" von 1984 (Abb. 12). Zwar lebt der Illusionsraum von der Anspielung auf eine Caspar David Friedrichs "Wanderer im Gebirge" angenäherten Gebirgslandschaft - läßt man sich auf eine Illusion von Fernsicht ein, denn dafür sprechen lediglich die zwischen hell- und dunkelgrau gestaffelten Dreiecksformen rechts unten und das dominante Weiss in den oberen beiden Dritteln der Gemäldefläche. Das schwarze Gebilde in der Mitte - eine mit einer Flinte gekreuzte Armbrust oder zwei Spitzhacken - auch das nur partiell so zu benennen, hängt letztlich doch frei in der Luft über einem roten Grund, der sich in unbestimmbarer Ferne=Tiefe darunter und dahinter erstreckt. Realismus - ja, das aber auch wiederum nur vielfältig gebrochen, unvollständig.
Auch hier sei wiederum ein zweiter Vergleich mit einem Gemälde gewagt, das um 180 Grad gedreht hier abgebildet erscheint: Georg Baselitz, "Birnbaum" von 1978 (Abb. 13). Was vergleichbar dünkt ist die Vagheit des nachvollziehbaren Illusionsraumes, denn einen Birnbaum mag wohl auch von ihnen niemand zu erkennen. Eine kahle Astgabel wäre genauso stimmig, um dieses isolierte schwarze Gebilde im Zentrum zu benennen, das durch seine relative Größe dicht an der vorderen Grenze des Illusionsraumes ins Bild gesetzt erscheint.
Daß diese beiden Vergleiche mit den - wie es scheinen könnte - nur um des Effektes einer suggerierten Ähnlichkeit willen gedrehten Gemälden von Richter und Baselitz nun aber auf eine von Bardenheuer im Atelier ab einer bestimmten Zeit praktizierten Inspirations und Kompositionspraxis hinziehlen, möchte ich an einem weiteren - und ich muß gestehen auch für mich verblüffenden - Vergleich demonstrieren.
In dieser Ausstellung hängt ein großformatiges Gemälde, von 3 x 2 m immerhin, mit dem Titel „Die Schale" aus dem Jahre 1984 (Abb. 14). Das Hauptmotiv ist ein auf dem Kopf stehendes asendes Reh. Und schon dieses Motiv und vor allem aber die Farbenwahl deuchten doch zu sehr nach einer Anleihe aus einem vertrauten Kapitel aus der deutschen Kunstgeschichte, als daß nicht ein Nachsuchen sich gelohnt hätte: Der Fund erwies sich wohl als zu eindeutig, als daß man ihn des puren Zufalls verdächtigen möchte.
Dreht man Bardenheuers Gemälde auf den Kopf und spiegelt man einen Ausschnitt aus diesem expressionistischen Gemälde von 1911 (Abb. 15: Die Schale, um 180 Grad gedreht, darunter Franz Marc, Asende Rehe im Schnee, 1911, re. Ausschnitt gespiegelt) erscheint es naheliegend daraus zu schließen, daß Bardenheuer sich 1984 einer klaren Technik bediente, die nun nichts mehr mit seiner vorherigen Strategie der Inspiration zu tun hatte - Karikatur und Typisierung, Zerstörung des Illusionsraumes, Reduktion der Hauptfigur usw., sondern daß er an einen Punkt seiner Eroberung der Malerei des 20. Jhds. gelangt war, die aller dieser angesammelten Erfahrungen zwar bedurft hatte, die er indessen nun endgültig hinter sich lassen konnte, weil bei jedem Pinselzug unausweichlich gegenwärtig. Ich erinnere mich sehr wohl seiner Demonstrationen bei unseren Gesprächen im Atelier, daß er den Gegenstand, die phantastischen Objekte seiner bisherigen Malerei nicht mehr wollte, daß er das Drehen der Leinwand, die vor ihm an der Wand hing, nach wenigen Moment des Farbauftrags als Kontrolle nutzte, um sich von jeglicher aufkommenden Allusion an Gegenständliches zu lösen, ja sie mit einem nächsten Pinselzug zu unterlaufen, um Vagheiten zu erzeugen. Es dauerte vier - fünf Jahre bis er sich bis dorthin vorgearbeitet hatte, immer dem Anschein einer dem Abbild verhafteten Illusion zu entgehen. Auch deswegen wehrte er sich vehement, als er sich gelegentlich den „Jungen Wilden" zugeordnet sah.
Es waren Gemälde wie dieses - B 468 aus dem Jahre 1987 (Abb. 16) -, die diesen Schritt eröffneten. Gegenständlich-figürliche Assoziationen waren noch vorhanden: Das mittlere Hauptmotiv - eingebettet vor einem Hintergrund aus Eis - läßt sich sehr wohl als Augapfel lesen, dessen Schwarz der Pupille bei näherem Hinsehen sich als ein Totenkopf abzeichnet.
Bei unseren Gesprächen ließ er solche gegenständlichen Assoziationen gelten, denn er hatte gegenüber jedem Betrachter einen entscheidenden Vorteil, der zugleich aber auch ein entscheidendes Problem betraf. Er hatte die Erinnerung an die Entstehungsgeschichte seiner Gemälde noch immer vor Augen und für ihn war daher entscheidender, was er durch das ständige wieder Übermalen an Figurationen getilgt, erweitert, verstärkt oder ganz gelöscht hatte. Spuren davon ließ er bestehen - hier beispielsweise rechts oben und links unten zu sehen - , sie störten ihn nicht weiter: Malerei als Spures des Prozesses ließen sie allemal als weiterhin erkennbar bestehen.
Aus dem Jahre 1992 stammt dieses Gemälde - B 239 (Abb.17) -, dessen figürliche Ambivalenz ganz beträchtlich vielfältiger erscheint, wenn man es drei mal um jeweils 90 Grad dreht. In der ersten Ansicht läßt sich bereits eine doppelte Figur assoziieren: Der obere Teil eines Daumens, mit Nagel und Kuppe auf der linken Seite. Dann aber erscheinen beim Abtasten des Gemäldes mit dem Blick und vor allem bei unterschiedlicher Stärke der Beleuchtung - eine Reihe von Details, die etwas anderes bezeichnen: Links die herabhängenden Haare und ein Ohr, rechts die Wange im Profil und daneben ein Auge, das uns anblickt, neben dem sich eine Nase abzeichnet. Das rechte Profil verläuft weiter unterhalb in ein markantes Kinn und nach oben zu in eine schmale hohe Stirn weiter. Ein Bildnis also, möglicherweise das einer jungen Frau, die neben einem beiseite gedrückten Vorhang lächelnd posiert.
Dreht man nun das Gemälde um 90 Grad nach rechts (Abb. 18) wird aus dem hängenden Vorhang eine sanfte Welle über der von links herab ein merkwürdig anmutender Vorderteil einer Figur schwebt. Das Auge erscheint nun wie ein lang gezogener Mund, dessen Unterlippe zuvor ein Kinn erahnen ließ. Die zuvor über der Nase verdunkelte Stelle erscheint nun als eine Augenhöhle mit kaum markiertem Auge. Aus dem Bildnis einer jungen Frau ist nun das einer verhärmten Älteren geworden.
Wieder um 90, also 180 Grad gegenüber dem ersten gedreht (Abb. 19), vollzieht sich beim Anblick des Bildnisses ein weiterer Wandel. Die Wange der rechten Seite wird nun eindeutig zur Nase, Ohr und Haar bleiben nahezu an gleicher Stelle, das vormalige Auge verschwimmt in der undifferenziert erscheinenden Kinnpartie und die Wange mutiert zur Hakennase einer Indianerprofils. Und von einer Frau zu einem Mann. Hier möchte ich sie auf die ambivalente Rolle des Drippings hinweisen, mit dem Bardenheur auch weiterhin noch experimentieren wird. Sowohl am Ausgangsbild wie am 180 Grad gedrehten läßt sich hier an der Reproduktion nicht entscheiden, von wo nach wo er die Farbe laufen ließ. In beiden Fällen erscheint sie als eine gelungene Suggestion von herab hängenden Haarsträhnen.
Um 270 Grad gedreht (Abb. 20) blickt eine etwas verzerrt wirkende Maske nach links. Aus der Stirn ist nunmehr ein vorgeschobenes Kinn geworden, das Auge bleibt Auge, das Kinn wurde Stirnpartie und die Haare lassen sich als eine Art fliehenden Bartes lesen. Nichts mehr erkennen wir von der jüngeren Frau, sie ist zum phantastischen Bildnis eines älteren Mannes mutiert. Vexierbilder fallen mir ein, die indessen von der Verschränkung aus unterschiedlichen Naturelementen komponiert wurden. Mehr noch ähnelt das, was ich ihnen hier zeigen konnte, einem kindlichen Spiel mit dem Wandel von figuralen Suggestionen, wenn Zufallsfiguren einer spielerischen Überprüfung in ihrem Assoziationspotential unterzogen werden, wie Wolkengebilde.
Wann ein Gemälde fertig ist, ist wohl immer eine der schwierigsten Entscheidungen, die ein Maler, der sich auf derartige Experimente einläßt, zu treffen hat. Bardenheuer war da ebenso skrupulös, wie entschieden: wenn er einen weiterführenden Einfall hatte, den er an dem Gemälde, an dem er bislang gearbeitet hatte, nicht zu erreichen glaubte, erklärte er das für den Moment der Vollendung - und Vollendung hieß für ihn: hier geht's damit nicht weiter, weiter geht es nur mit einem Neustart, das war sein Mißtrauen in seine eigenen Produkte. Sie waren nie das Ende, was ja der emphatische Begriff vom Vollendeten nahe legen muß, also waren es bei ihm immer nur Beendungen. Und schon bald zog er Konsequenzen. Sobald er an dem Punkt angelangt war, an dem das Vexierspiel mit einem Hauptmotiv vor unbestimmtem farblichen Illusionsraum im Geviert der Leinwand ausgereizt war, legte er rigoros ein Gitter aus farbigen Streifen (Abb. 21: 1994, B 297 F) so davor, daß das figurale Hauptmotiv nur noch unbestimmbar vage, aber noch als vormals vorhanden wahrzunehmen blieb. Dieser Offenheit für die produktive Phantasie des Betrachters seiner Gemälde, dieser Vagheit in den Möglichkeiten der Bestimmung eines motivischen Inhaltes seiner Gemälde sah er sich verpflichtet. Das war seine Kritik an den medialen Bildern, die vorgaben, eindeutige Abbilder einer Realität des Alltages wiederzugeben. Er besaß nur einen kleinen Schwarz-Weis-Fernseher als der große bunte Schirm für alle Welt selbstverständlich und unerläßlich dünkte.
In seinen Zeichnungen und Gemälden befasste er sich mit der Entstehung von bildlicher Bedeutung, von räumlichem - nicht erzählendem oder symbolischem Sinn in abstrakter und dennoch nicht gegenstandsloser Bildlichkeit. Zwischen dem Betrachter und der einzelnen Leinwand kommen vexierende „Dinge" aus gleichsam reinem Sehen zustande, Bildlichkeit entsteht hier herausfordernd in Wechselwirkung des Gesehenen mit dem Sehen - Sehgewohnheiten, aber auch in einer sichtbar vorliegenden Wechselwirkung der Gemälde nebeneinander. Und nicht nur bei seinen Arbeiten im kleineren Format potenziert sich die Wirkung einer experimentellen Suche nach malerischen Mitteln, die nicht eindeutig als Flächen, Striche oder Linien zu klassifizieren sind, wenn diese Gemälde an der Wand oder im Raum in Konstellationen treten, die nicht im voraus geplant waren, sondern sich nachträglich, dann allerdings wie notwendig und sinnvoll, ergaben. Während in der abstrakten Malerei der klassischen Moderne die Aspektemannifaltigkeiten des Sichtbaren in Bildzeichen komprimiert und aufgehoben wurde, entfaltet sich hier umgekehrt, so möchte ich es formulieren, eine Reihe verschiedener, nicht auf einen gemeinsamen Nenner zu bringender Ansätze von Ansichten ein und desselben ungreifbaren räumlichen Motives. Die jüngsten Gemälde sind kaum noch figurativ oder gar objektabbildend zu bezeichnen. So wie bei diesem Germälde - B 558 (Abb. 22) - aus dem Jahre 2006 konnte er radikal alle zuvor mühsam erarbeiteten Schichten mit dickem Pinsel in wenigen Schwüngen übermalen, die Mühen gleichsam tilgen und auslöschen, die vorhergenden Bilder tilgen, zerstören. Das war die radikalsten Art, die er gelegentlich nutzte, wenn er an den zart farbigen Schichtungen, die sich auch hier noch immer darunter erkennen lassen, nicht mehr weiter kam. Auch das war eine Form der Erklärung: Nun ist's genug, das Bild ist vollendet.
Aber immer wieder bestehen die Gemälde aus Spuren einer Abwesenheit. Dem Tiefenblick in den Illusionsraum, den die Gemälde anheimstellen - hier eine Tafelrunde mit Totenschädel, übermalt mit einer zart-bläulichen Schicht (Abb.23: B 307 F, 1994) - bietet sich kaum ein festes Vorne und Hinten. Alle Volumina hängen von immer nur partiell gelingenden Gestaltbildungen durch Blickimpulse und vor allem von Farbwerten ab. Spannung entsteht in der projektiven Verbindung der Tiefe mit der Bildfläche, die als solche nie ganz verschwindet und bis zu einem gewissen Grad sowohl materielle Oberfläche als auch selbst wiederum gemalte Oberfläche ist, die sich virtuell wölben kann. Ein statisches Kompositionsgefüge gibt es kaum, aber auch kein ebnendes Ganzes der Bildfläche, denn es gibt Gewichtungen und Richtungstendenzen und auch Schwerkräfte. Bardenheuer schöpfte das Irritationspotential des Offenlassens aus, darin sind seine Kompositionen irritierend provokativ, denn sie fangen nirgends an und hören nirgends auf, weder nach oben oder unten, weder nach rechts oder links, weder nach hinten - aber eben nach vorne, wo immer die Oberfläche der bemalten Leinwand bleibt, die sie selbst noch für den flüchtigsten Blick als Kunstwerk vor der Wand handgreiflich fixiert.
Mit einer Anekdote eines Atelierbesuchs und einer dort gemachten Erfahrung möchte ich meine Laudatio für Bardenheuers Malerei des Misstrauen beschließen.
Als ich im Jahre 2001 eines Nachmittags ins Atelier kam, war Bardenheuer mit einem Gemälde beschäftigt, das hier in einem späteren Zustand angebildet ist (Abb. 24: B 531, 2001 [um 180 Grad gedreht]). Stellen Sie sich vor, die roten und gelben Streifen wären nicht vorhanden, sondern nur die schwarzen, gleichmäßig verstreuten pflanzenartigen Gebilde vor einem hell und farbig leicht getönten Hintergrund. Als er mich nach einem möglichen Titel für dieses Gemälde fragte, schlug ich vor es „Garten des Fu-Lu-Zu" zu benennen, was ich damit begründete, daß es mir die Assoziation zu einer asiatischen Landschaftsmalerei mit kalligraphisch reduzierten Pflanzen in einer dunstigen Morgenstimmung aufdrängte. Das überraschte ihn, denn er hatte schon längere Zeit an dem Gemälde gearbeitet und wohl dieses Ergebnis nach mehrfachem lasierenden dünnen immer wieder übereinandergelegten Schichten nicht unbedingt intendiert.
Wenig später sah ich bei einem erneuten Besuch im Atelier das Ergebnis des nächsten Schrittes der Bearbeitung des nämlichen Gemäldes, so wie es jetzt in der Ausstellung hängt. Um 180 Grad (Abb. 25) gedreht und mit einer durchscheinenden Übermalung in groben Parallelstrichen in Gelb und Rot, erscheint es nun wie eine Malerei unbestimmten Inhalts auf einer Wand aus ungeglättetem farbigen Felsen, dessen Töne stärker hervortreten, als die der Malerei darauf. Der Eindruck einer Tiefenillusion von vorne und hinten vexieren, wie wohl die letzten farbigen Schichten - steht man vor dem Original - ganz eindeutig als vorne liegend auszumachen sind. Das Dripping der stark verdünnten Malfarbe zeichnet sich am Rande der Pinselzüge über die ganze Fläche ab, nur eben jetzt nach oben auslaufend. Damit waren die Spuren meiner Assoziation an ostasiatische Malerei getilgt.
Etwas anderes war an diese Stelle getreten.
Christoph Delius hat in einem lesenswerten Beitrag im oben bereits erwähnten Katalog des Bielefelder Kunstvereins, einige für mich bemerkenswerten Sätze geschrieben.7 Er verwies auf den Botticelli und Leonardo zugeschriebenen kunsttheoretischen Topos von dem Fleck auf der Mauer als Inspirationsquelle: „Aber die Bilder Bardenheuers sind nie tatsächliche Äquivalente der Mauer, und sie wehren das denkbare Ideal gänzlich freien, symphonischen Strömens spontaner Synthesen der optischen Einbildungskraft des Betrachters ab. Es ging Bardenheuer sowenig um abstrakten Impressionismus wie um das feinsinnige äquilibrierende Setzen von Flächenwerten, obwohl auch dies seine Rolle spielt. Es geht eher darum, in der malerischen Ermöglichung eines weder unmittelbar auf konkrete Dinge noch auf schematisierte wahrnehmungspsychologische Modellfiguren gerichteten Sehens, das sich selbst sieht, der Charakteristik unentrinnbar individueller Privationen des Idealtypischen nachzugehen - Dürer nannte sie, bezogen auf den Menschen, „Gebrech" - und das je Einzelne des „Gebrechs" als konstituiv für Bilder zu fassen, die alle Schematismen vermeiden und Kunstwerke als Fehlstellen verstehen lassen, als fragwürdige Lücken in der dem „Fetischcharakter der Ware" (Marx) gewidmeten und in ihrem Design konstitutionell verfehlten optischen Umwelt, und die sich der Vereinnahmung entziehen."
Daran hat Bardenheuer sein Leben lang gearbeitet - und das ist es was ich mit „Malerei des Misstrauens" bezeichnet habe.
Peter Gerlach, Köln, den 15. August 2009