Von Jägern, Kindern und der Moderne

Zu M. Verworn




I. Kinder



Die Entdeckung des Kindes als "Genie" (Abb. 1 a, b) ist ein Gedanke der englischen Ästhetik des 18. Jahrhunderts, eine Vorstellung, die sich - über Rousseau vermittelt - im späteren neunzehnten Jahrhundert durchsetzte.1 Noch Baudelaire definierte Genie als "wiedergefundene Kindheit".2 Pädagogik und Entwicklungspsychologie befaßten sich mit dieser Vorstellung, kaum aber mit der spezifischen Ästhetik kindlicher Hervorbringungen. Abgesehen von gelegentlichen Ausstellungen vernachlässigte die seriöse Forschung dieses Feld, wiewohl die Kinderzeichnung in der Zeit um 1890 z.B. in Wien - durchaus umstritten - als überlegenes, schöpferisches Produkt unter Künstlern galt.3(Abb. 1 a, b)

Diese Entdeckung indessen wurde alsbald von unterschiedlichen Interessen genutzt. Bei der Suche nach dem Gegenbegriff begreift man diese Vorstellung von der Genialität der wiedergefundenen Kindheit als Gegenentwurf der zeitgenössischen Moderne des 19. Jahrhunderts zur Kunst "der Alten". Damit bezeichnete man noch lange nach Winckelmanns Zeiten die Kunst der klassischen Antike. Auf diese beriefen sich alle Klassizisten und damit jedes akademische Lehrprogramm des späten 19. Jahrhunderts. Damit sind die oppositionellen Positionen zunächst abgesteckt. Die neu entdeckte, alternative Quelle ihrer Inspiration zu benennen vermeiden indessen noch lange selbst Künstler wie Kandinsky, Klee und andere, die den Durchbruch zur Moderne des frühen 20. Jahrhunderts vollzogen. Das hatte einen guten Grund: Das bisher als wertvoll geltende Wahre und Feine wurde einer Abwertung ausgesetzt und das bis dahin als wertlos Angesehene, das der Primitivität und Vulgarität Verdächtige konnte versuchsweise einer ersten Nobilitierung unterzogen werden. Dieser Versuch blieb indessen nicht ohne heftigen Widerspruch. Ein längerlebiger Vorwurf gegen diese Inspirationsquelle wie auch gegen die damit erzeugte Kunst lautete, sie sei eine "Primitivitäts- und Kindlichkeitskomödie" oder sie sei infantil: "Das kann doch jedes Kind!" flüsterte oder rief entrüstet der Bürger.4 Belegen läßt sich das anhand von Karikaturen auf moderne Kunst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute.5 (Abb. 2)

Ab wann denn nun und durch wen Kinderzeichnungen als "Kunst" und Kunst der Naturvölker mit moderner Kunst ernsthaft zur gegenseitigen Erhellung verglichen wurden, scheint ungeklärt. Im Prozeß der Etablierung einiger Facetten heute noch gültiger Begriffe von Kunst werden in dieser Zeit einige Varianten ausgelotet, die keineswegs von Anfang an zum gesicherten Bestand gehörten.6

Der folgende Beitrag befaßt sich mit Vorträgen des in Bonn tätige Professor für Physiologie und Anthropologie, Max Verworn, von 1907. Er gehörte zu den ersten, die sich dieses Themas annahmen. Wie sehr er und seine Gegenspieler - allen voran Wilhelm Wundt - unter dem Bann der 1866 publizierten "natürlichen Schöpfungsgeschichte" und der für diese grundlegenden "Rekapitulationsidee" Ernst Haeckels und Karl Lamprechts stand, wird weiter unten dargelegt. Nicht von ungefähr spielte sich diese Debatte ab, während in der bildenden Kunst der "Jugendstil" die Moderne prägte. So ungeklärt das Aufkommen des Begriffs "Jungendstil" - als Pendant zur Kindlichkeits-Ideologie mit vielen inhaltlichen Parallelen - sein mag, bemerkenswert bleibt, daß der Begriff "Jugendstil" als abwertender für ein neues graphisches Produktdesign vor 1896 in Gebrauch kam, längst bevor er auf irgendwelche Malerei, Skulptur oder Architektur übertragen wurde.7 Eine innige Verknüpfung von künstlerischer Tätigkeit und "Leben" als ausschließlich ästhetisches Anliegen wurde erstmalig im Programm der "Brücke" vom Herbst 1906 formuliert. Darin wurde die "Jugend, die die Zukunft trägt" zur Selbstorganisation und zum gemeintschaftlichen Widerstand "gegenüber den wohlangesessenen, älteren Kräften" aufgerufen. Das Vorstellungsfeld ist ein gleiches. Der Begriff weist auf eine Fiktion von zivilisatorisch ungetrübter, natürlicher Begabung und talentierter Frische des "Geist[es] der Jugend". Mit diesem Moment ist - der älteren Jungbrunnen-Symbolik verwandt - die Vorgeschichte des noch immer aktuellen Jugendlichkeitskultes der Freizeitkultur unserer Gegenwart angesprochen. Es begann vor 90 Jahren, als die Älteren der heutigen Pensionärsgeneration gerade geboren wurde. Die Phase der wissenschaftlichen Konstruktion - und ihren riskanten Manipulationen - von noch heute ungebrochen wirksamen Mustern unseres Selbstverständnisses ist zugleich Gegenstand dieses Beitrages.





II. Ein bemerkenswerter Vortrag in Köln



Im Kölner Gürzenich fanden 1907 die internationalen Prähistorikertage statt.8 Es war die jährliche Versammlung der Vertreter einer Disziplin, die sich mit der Erforschung der kulturellen Hinterlassenschaft der Menschheit aus jener frühen Phase der Geschichte befassten, die vor der Erfindung und Verbreitung der Schrift eingeordnet zu werden pflegt.

Köln hatte man zum Tagungsort ausgesucht, um diese fachwissenschaftliche Tagung mit einem publikumswirksamen Ereignis verbinden zu können, nämlich der Eröffnung des Anthropologischen Museums im Bayenturm am 28. Juli 1907. (Abb. 3) Dort verblieb es bis zur Zerstörung am 29.Juli 1943.9 Die Geschichte dieses Museums ist bekannt. Nach nur 4jähriger Vorarbeit durch den 1903 gegründeten Cölner Anthropologischen Verein wurde dessen Sammlung der Stadt Köln gestiftet.10 Im Gegenzug dafür erhielt er das bescheidene Museumsgebäude.

Im Rahmen der Übergabe hielt ein junger Gelehrter11 der Göttinger Universität einen Vortrag mit dem Titel: "Zur Psychologie der primitiven Kunst."

"Die aus Anlass der Eröffnung des hiesigen Anthropologischen Museums hier stattfindende Tagung von Gelehrten aus Deutschland, Belgien, Frankreich, Norwegen, Schweden, der Schweiz, aus Ungarn, Nordamerika und Brasilien [vgl. Abb. 4, Sitzplan für das Festbankett] hat gestern vormittag im Gürzenich ihren Anfang genommen... Zur Psychologie der primitiven Kunst brachte Professor Dr. Max Verworn=Göttingen, der Vertreter des Göttinger Anthropologischen Vereins, seine Ansicht auf Grund von Studien über das Geistesleben des Menschen dahin zum Ausdruck: Die psychologische Analyse des künstlerischen Schaffens beginnt in unserer Zeit von einer etwas breiteren Basis auszugehen, als die lediglich auf dem Schönheitsbegriff der klassischen Kulturvölker folgende ältere Kunstpsychologie. Die Studien über Kinderkunst und die großen Entdeckungen auf dem Gebiete der paläolithischen Höhlenkunst haben nach dieser Richtung besonders anregend gewirkt. Bei diesen Studien hat der scharfe Gegensatz zwischen der streng naturalistischen Kunst der paläolithischen Mammut- und Rentierjäger und der durch und durch stilisierenden Kunst der höheren prähistorischen Kunst immer besonderes Staunen erweckt. Eine psychologische Analyse der primitiven Kunstentwicklung zeigt indessen, daß hier ein ganz natürlicher Entwicklungsgang vorliegt, der schlechterdings nichts Auffallendes hat. Die Kunst des Kindes ist ideoplastisch, denn sie zeigte infolge der Erfüllung des Kindes mit Vorstellungen durch die Erziehung von Anfang an ideoplastische Züge. Bei Zeichnungen nach dem Gedächtnis liefert das Kind nicht ein naturwahres Bild des Objekts, sondern ein Bild von dem, was es von dem Objekt gelernt hat und weiß. Die erste Kunst des Kindes entspricht also nicht der physioplastischen Kunst der paläolithischen Zeit, sondern von vornherein der ideoplastischen Kunst der späteren prähistorischen Kulturen. Die Kunst der paläolithischen Jäger ist rein physioplastisch, weil der Jäger den lebhaften Sinneseindruck des überlisteten und erlegten Wildes nach dem ungetrübten Erinnerungsbilde reproduzierte, genau wie der heutige Buschmann. Er war ein reiner Sinnesmensch, seine Kunst daher Ausdruck des überwiegenden Empfindungslebens. Die Kunst der späteren prähistorischen Perioden ist durchaus ideoplastisch, weil sie ein Ausdruck des mächtig erwachenden und sich entwickelnden Vorstellungslebens ist. Den Anstoß für seine Entfaltung gibt die Konzeption der Seelenleiden, der Idee einer Spaltung des Menschen in Leib und Seele. Die Seelenidee ist der erste größere und folgenschwere Versuch des Theoretisierens in der Menschheitsentwicklung. Der bildnerische Ausdruck davon ist die ideoplastische Kunst, die ihre volle Parallele hat in der ideoplastischen Kunst der meisten heutigen Naturvölker. Der paläolithische Jäger mußte eine physioplastische Kunst liefern, weil ihm alles Theoretisieren und Spekulieren über die Dinge, das seine Vorstellung von den wirklichen Dingen trüben konnte, noch vollständig abging. Der Mensch der späteren prähistorischen Kulturstufen mußte eine ideoplastische Kunst hervorbringen, weil er seine naiven Spekulationen über die Dinge und ihre bizarren Phantasiegeburten zum Ausdruck brachte, denn die Kunst ist der Spiegel der Seele." Das berichtete eine Tageszeitung am gleichen Tag in einem ganzseitigen Artikel.12

Die Formulierung des Vortrags-Titels mag uns fürs Erste nicht besonders beachtenswert erscheinen. Für diese relativ friedliche Phase der späten nach-bismarckschen Kaiserzeit brachte sie jedoch nicht weniger als zwei Reizwörter zusammen, die wir zu kommentieren haben:
1. "Psychologie"
2. "primitive Kunst"
Daß er diesen Vortragstitel mit Bedacht gewählt hatte, lässt sich aus dem Titel eines Vortrages erahnen, den er im Januar zuvor in Göttingen vor dem Anthropologischen Verein gehalten hatte. Dort ging es ums nämliche Thema: "Kinderkunst und Urgeschichte."13

Zu 1.
Psychologie war relativ jung als universitäre Disziplin. Bis zur Romantik verteilten sich Inhalte dessen, was wir heute gewöhnlich unter Psychologie verstehen, die Wissenschaft von dem Innenleben, der Seele - von alltäglichen Gefühlen über Schock und extremen Erregungen bis hin zu Traum und traumatischen Zuständen - und ihren Auswirkungen auf die klassischen Disziplinen Philosophie (als Zweig der Erkenntniskritik) und Medizin, dort als Physiologie der Sinnesorgane und als Physiognomik und Pathognomik. Wie der Name, Physis und nomos, bereits erkennen läßt handelte es sich um eine Lehre der Bezeichnung physischer, körperlicher Merkmale oder Kennzeichen, deren Ursache man in seelischen Vorgängen zu recht vermutete. Sie blieb bei der "descriptio superficialis", der Beschreibung von der Oberfläche her. Die Psychologie, die Lehre vom Geist/Seele, entstand seit der Romantik als Beschreibung von Beobachtungen innerer Befindlichkeit, als protokollierte Eigenbeobachtung, der "descriptio intrinseca".14 Erst nach Nietzsche, der auch auf der dominanten Rolle der Instinkte, des Trieblebens insistierte, entwickelte gegen Ende des 19. Jahrhunderts Sigmund Freud seine Lehre vom Unbewußten und der Aufdeckung der Nachtseiten unbewußter Triebregungen in seine Traumdeutung durch systematische Analyse der Selbstdarstellungen zahlreicher Einzelpersonen, die er teils persönlich befragte, teils nach Materialien aus literarischen Quellen, wie z.B. Märchen, Tagebuchaufzeichnungen u.ä erarbeitet hat. Die Ergebnisse seiner Forschungen, die bis 1907 vorlagen, häuften nun eine - für die bigotte bürgerliche Moral teils peinlich, teils sensationell - intime Enthüllung auf die andere und brachten öffentlich zur Sprache, was man sicherlich längst wusste, aber aus Schamgefühl nie zu bedenken, laut auszusprechen oder gar zu drucken gewagt hätte.15

Hatte die Biologie zu enthüllen, daß die in der Dichtung der Romantik noch viel besungenen duftenden und farbenprächtigen Blüten von Pflanzen, mit denen man noch jede festliche Tafel zu dekorieren pflegte oder die als artiges Geschenk bei passender Gelegenheit selbstverständlich dünkten, nichts anderes sind als die Geschlechtsorgane der Pflanzen, war Psychologie die Wissenschaft der Enthüllungen von Peinlichkeiten für die bürgerliche Gesellschaft. Zumindest evozierte der Begriff Assoziationen mehr oder weniger in dieser Richtung. Was hatte also Verworn an primitiver Kunst zu enthüllen?

Zu 2.
Nicht minder anstößig-auffällig mußte die Kombination der Begriffe "primitiv" und "Kunst" wirken.
"Kunst" war ein traditioneller Gegenstand der philosophischen Disziplin "Ästhetik", der Lehre vom Schönen. Diese Einschränkung auf unser Verständnis der schönen Künste entstammt dem 18. Jahrhundert. Aus dieser idealistisch-normativen Teildisziplin hatte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts eine historisch orientierte, auf Quellenkunde und Denkmälererfassung spezialisierte neue Disziplin abgesondert, die wir noch heute als Kunstgeschichte kennen.16 Sowohl der philosophischen Ästhetik, als auch der jungen Kunstgeschichte galt Kunst als ein hochentwickeltes Produkt menschlicher kultureller Entfaltung. Kunst war also Ausdruck kultureller Höchst-Leistung. Selbstverständlich kannte man Phasen des kulturellen Aufstieges und Niederganges, etwa das Ende des ägyptischen Reiches oder des römischen Imperiums mit allen negativen Folgen auch für die bildende Kunst. Man sprach hier von Verfall, von Niedergang, der erst im 9. und dann schließlich im 14. Jahrhundert durch die Wiedergeburt der Kunst als Renaissance abgewendet und Kunst zu einer neuen Blüte verhalf, usw. Nirgends indessen fand sich in der Vorstellung ein Raum oder eine Zeit, in der man künstlerische Produktion mit der Etikette "primitiv" hätte versehen können. Kaum hätte es dann Kunst sein können.17 Vieles - in Raritätenkabinetten oder vergleichbaren Sammlungen Aufbewahrte - verdiente jemals das Epitheton "Kunst" in dem uns geläufigen, neuzeitlich emphatischen Sinne.

An etwas Zwiespältiges innerhalb künstlerischer Hinterlassenschaft geriet man erst mit Entdeckungen in Süddeutschland und Frankreich in Gestalt der Höhlenmalereien aus vorgeschichtlicher Zeit.18 Gegen den zeitweiligen Verdacht von Fälschung erhaben, hat sie sich aber als seriöses Zeugnis einer wahrhaften vorgeschichtlichen kulturellen Leistung erweisen lassen. Inzwischen standen zudem Vergleiche mit der Kunst "primitiver" Völker des inneren Afrikas - der Buschmänner vorzüglich - oder Ozeaniens zur Disposition (Abb. 5, 6). Noch lange tat man sich indessen selbst in Fachkreisen schwer, eine Formulierung wie die besagte "primitive Kunst" als selbstverständlich zu akzeptieren.19 Die Einwände von Wilhelm Wundt (1905) und Johannes Kretschmar (1910) zeigen dies - wenn auch beide gute Gründe dafür anführen können, prähistorische Darstellungen nicht als "Kunst" zu bezeichnen, sondern sie als "Erinnerungsbilder" einer anderen Sorte von menschlich-kulturellen Produkten zuzuordnen.20

Selbstverständlicher hatte sich der Begriff "Kunst der Naturvölker" bereits eingeprägt.21 In beiden Positionen ging es demnach nie darum die Wertehierarchie zu zerstören. Vielmehr rangen sie um ein vergleichbares Ziel. Sie wollten dem Auszeichnung zusprechen, was bisher vermeintlich außerhalb des als kulturell wertvoll Eingeschätzten lag. Dieses Ziel erreichten sie durch entsprechend unterschiedliche Zuweisung evaluierter Bedeutunsgelemente, die dieses wiederum vom verbleibenden profanem Raum abhob. In diesem Nobilitierungsprozeß wurde das bislang als vulgär oder profan Mißachtete gleichermaßen durch Interpretation als dem Kunstraum zugehörig erklärt.
Doch zurück zum Festereignis von 1907.

Max Verworn erfüllte alle denkbaren Erwartungen, die er offensichtlich selbstbewusst genug mit der Formulierung seines Vortragstitels zu erwecken wusste. Einleitend stellte er fest: "Die künstlerische Produktion ist ein Ausdrucksmittel des Menschen für Empfindungen und Vorstellungen, für Gedanken und Gefühle." Ein durchaus modern anmutender Satz.

Das war Signal seiner Kampfansage gegen Wundts Verdikt, jegliches "Erinnerungsbild" aus dem Kreis der Kunst auszuklammern. Die akademische Ästhetik hatte das "movere" weit hinter das "docere" zurückgestellt, sich somit von allem modernen Subjektivismus - zumal schon vor der Romantik - abschirmend. Alte Polemiken gegen jegliche "Gedankenkunst" - seit dem späteren 16. Jahrhundert ein durchgängiger klassizistischer Stereotyp - tritt uns hier ganz offenkundig in anderer Gestalt wieder entgegen. Mit seiner allgemein gehaltenen Formulierung ist durchaus zusammengefaßt, was als Grundlage für moderne Kunst bis heute nicht nur bei Laien für zutreffend gehalten wird.

Seit wann galt dieser Satz so pur und radikal vor 1907? Ansatzweise läßt er sich in dem Terminus von der "maniera" ausmachen, einem Terminus entwickelt in der Kunsttheorie des 16. Jahrhunderts. Dort bezeichnet dieser zunächst einen persönlichen Stil, eher die Machart von Kunst, später dann auch spezifische Merkmale des Persönlich-Inhaltlichen, bis hin zu idealen Charakter-Eigenschaften des Künstlers selber.22 Mit der subjektiven Wende der Ästhetik in der englischen Philosophie des 18. Jahrhunderts erst, in der nicht mehr das Kunstwerk als eine kompositorische Konstruktion im Vordergrund der Überlegung stand, sondern die Perspektive an der Wirkung beim Betrachter ausgerichtet wird, tritt die psychologische Argumentationsweise ins Zentrum der Diskussion. Wie wirkt eine Komposition? Wie kann eine erwünschte Wirkung komponiert werden? Das waren nunmehr zentrale Fragen. Schließlich erst in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, von Winckelmann eingeleitet, wurden diese mit dem Aspekt der Rolle des gesellschaftlichen Umfeldes für die Herausbildung hervorragender Kunst der Vergangenheit zusammengeführt. In der Romantik spitzte sich die ästhetische Diskussion erneut ausschließlicher auf die der Wirkung zu.

Was muß ein Künstler gefühlsmäßig erleben, um überhaupt Kunst zu machen? Welche Lebensbereiche sind ausgezeichnete Stimulantien für künstlerische Inspiration? Künstler entdeckten z.B. für sich Natur neu als eine solche stimulierende Inspirationsquelle. Dabei war es wesentlich die Wirkung, die bestimmte Naturereignisse auf die seelische Gestimmtheit auslösten, oder aber nur das als Simile benutzte sprachliche Bild eines Naturereignisses, das geeignet erschien, seelische Empfindungen beschreibbar zu machen. Ebenso galt das persönliche Erlebnis individuellen Leides oder von Liebesfreunden als kunstwertes Inspirationspotential. Doch? Erst die rational-kontrollierte, aus der Distanz zum Ereignis beherrschte Versprachlichung des Ergebnisses dieser Introspektion - des nach Innen blickenden Selbstversuchs - verhalf zur Disposition von Kunstwerken. Von diesen erhoffte man, daß der Leser, bzw. Betrachter ebenfalls von Stimmungen aufgewühlt oder, im Gegenteil, besänftigt werde, wie sie der Künstler angesichts natürlicher Außenumstände erfahren hatte. So formulierte es Lessing 1767, eine Passage aus Horaz, Ars poetica umdeutend.23 Auch dies war wesentlicher Bestandteil der romantischen Ästhetik und Kunsttheorie.

Ich will hier nicht noch einmal auf die besonderen ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen eingehen, die für diese Zuspitzung des subjektiven Moments förderlich, wenn nicht gar unerlässlich gewesen sind. Hier nur der Hinweis auf die neue absolute Konkurrenzsituation, die durch die Auflösung der Zünfte für fast alle Kunstbereiche einen neuen, den freien Markt hervorbrachte, der den einzelnen Künstler in völlige Selbstverantwortung für seine Produktion und deren Absatz versetzte. Genaueres dazu findet sich an anderer Stelle.24

Dem stand im 19. Jahrhundert die staatlich kontrollierte akademische Kunstausbildung gegenüber. Diese war vom Prinzip her eine konservative. Themen und Machart unterlagen einer festgefügten Hierarchie. Die als hochrangig geltenden Bildaufgaben (Historie - biblische, mythologische, geschichtliche Sujets) erschienen für die neue Art der subjektiven Orientierung wenig geeignet. Die hierarchisch tiefer angesiedelten Themenbereiche (Portrait, Genre, Landschaft) erwiesen ihre Tauglichkeit, die Anliegen einer neuen romantischen Kunst, sowohl in der Literatur als auch in der bildenden Kunst, darstellbar zu machen. Dieser Antagonismus bedingte eine Reihe von ständig sich wiederholenden Revolten der jüngeren Generation gegen das etablierte System: die Sezessionen.25

Freie Konkurrenz auf dem Kunstmarkt ließ es indes zu, daß alle Varianten zwischen einer repräsentativen Staatskunst bis hin zur individuell orientierten intimen Kunstproduktion und deren Kommentare sich auf dem Markt behauptet hatten. Sie fanden jeweils einen entsprechenden Interessenten- und Abnehmerkreis. Dennoch tat sich die jeweils modernste Kunst besonders schwer, Absatz und Anerkennung zu finden. Besonders krass trat das in Frankreich in Erscheinung. Die jährlichen Salons in Paris - jurierte Ausstellung in den Räumen der Akademie - entschieden darüber, wer in der öffentlichen Diskussion präsent war und wer nicht. Die Ausbildung an der Akademie brachten alle Vertreter später konkurrierenden Kunstrichtungen in ihrer Jugend gleichermaßen hinter sich. Doch erst danach kam es zur erforderlichen Entfaltung eines persönlichen Stils. Dabei scheiterten häufig die uns heute geläufigen Großen des französischen 19. Jahrhunderts an der Jury dieser Salons. Courbet ebenso wie Gaugin und Munch sind als Fälle bezeichnend. Vergleichbares brachte der Zöllner Rousseau in seinem kleinen Garten am Rande von Paris auf die Leinwand. Aus Kohlköpfen und Wildkräutern zauberte er sich eine phantastische Traumwelt, voller guten Geister und unheimlicher Wesen. Die Schaffung ganzer Welten als Produkt einer alternativen Phantasie war das erklärte Ziel dieser Künstler. In der als symbolistischen klassifizierten Malerei von Odile Redon fand diese Ausrichtung ihren bezeichnenden Höhepunkt. In den Farben leuchtend und ungemischt, in den Gestalten radikal anti-naturalistisch verwirklichten sie alle das Ziel der Entfaltung des freien Spieles der Phantasie, also genau jenes, das Verworn 1907 mit seinem eingangs zitierten Satz auf den Begriff brachte.
Baudelaire auf der einen, Töpffer und Ruskin auf der anderen Seite verdanken wir die ersten Versuche, die Originalität kindlich-bildlicher Äußerungen als vorbildlich zu begrüßen. Ihre Ideen brauchten mehr als eine Generation, um über den engeren Kreis der jungen Künstler hinaus bekannt zu werden und bis in die Diskussion über den Zeichenunterricht hinein Verbreitung zu finden.26 Zu ihrer Zeit fehlte noch eine entsprechende Begrifflichkeit für die allgemeine Verständigung über den Inhalt, die besondere Leistung usw. Sie wurde erst in den folgenden Jahren und Jahrzehnten schrittweise ausgebildet.
Und dennoch ist der Vortrag von Verworn ein für uns aufschlußreicher Beitrag zu diesem Problemkreis: Er führt die Zeichnungen von Kindern als Fall-Beispiel an - zum ersten Mal von Corrado Ricci 1887 anhand von einschlägigem Material als "Kunst" zur Debatte gestellt.27 Verworns Urteil über sie war wohlwollend verständnisvoll. Er führte ein wichtiges Argument zu ihrer Erläuterung und ihrem Verständnis ein, wenn er als Paläonthologe den Zugang zu einer "inneren Wahrheit" (wie ihn Baudelaire als Literat vor ihm und als Künstler Kandinsky wenig später vorrangig der Kinderzeichnung unterstellt) distanzierter formuliert. Das macht seinen Vortrag aus unserer Perspektive überhaupt erst bemerkenswert.
Nun aber zu seinen Argumenten:

Verworn unterscheidet zwei Phasen der prähistorischen bildenden Kunst. Die ältere, die bildende Kunst des Paläolithikums, kennzeichnet er als "physioplastisch". (Abb. 5 - 8). Die der jüngeren Phase, des Neolithikums, die neu-steinzeitliche Kunst bis hin zur Eisenzeit, bezeichnet er als "ideoplastisch". (Abb. 9 - 10) Was verstand er darunter?

"Physioplastisch" ist nach seiner Definition eine Zeichnung dann, wenn das dort Dargestellte "der Natur genau nachgebildet" sei. Naturalistisch, realistisch oder einfühlend wären zeitgenössische begrifflichen Äquivalente, die aber von Verworn weder verwendet wurden, noch verweist er auf sie. Und dem nachgeborenen Leser kommt Wilhelm Worringers Titel "Abstraktion und Einfühlung" in den Sinn, unter dem dieser im Jahr zuvor (1906) seine Dissertation in Bonn eingereicht hatte.28

"Diese Ausführung", sagte Verworn zuvor, "vollzieht sich beim Zeichnen nach der Natur unter stetiger Kontrolle durch die gegebenen Gesichtsempfindungen und wird durch diese fortwährend korrigiert. Die Zeichnung wird in diesem Falle je nach dem durch Übung erworbenen Grade der Ausschleifung der sensorischen und motorischen Bahnen, d.h. der Beobachtung und Handgeschicklichkeit eine mehr oder weniger naturgetreue Wiedergabe des gesehenen Objektes sein."29

Das klingt in dieser Vereinfachung nach einer mechanistisch-analogen Modellvorstellung vom Wahrnehmen und Zeichnen. Mechanistisch ist sie in Hinsicht auf die Vorstellung im Gehirn würde ein Abbild des Objektes hergestellt, das etwa einer photographischen Aufnahme vergleichbar sei. Dieses brauche nun lediglich ohne zwischenzeitliche Einwirkung irgendwelcher inneren Verarbeitungsvorgänge in den senso-motorischen Apparat übertragen, schließlich mit der Hand auf der Zeichenfläche ausgeführt zu werden. Analog erscheint das Modell insofern, als keinerlei qualitative Umsetzung des Gesehenen angesprochen wird, sondern lediglich eine analoge psycho-motorische und schließlich nur noch eine muskel-mechanische. Damit argumentiert er im Grunde genommen noch aus einer Warte der Psychologie des 17. Jahrhunderts (Descartes) und der der kunstpädagogischen Praxis der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Verworn gibt in einer Anmerkung den Hinweis auf einen eigenen Aufsatz mit dem Titel: "Mechanik des Geisteslebens", in dem er eine "Analyse der verschiedenen Vorgänge des Geisteslebens nach den neueren Erfahrungen" vorstellt. Dies weiß also auch Verworn. Er schränkt nachfolgend sein bisheriges, stark vereinfachtes Modell mit folgender Beobachtung ein:
"Aber schon bei dem direkten Abzeichnen nach der Natur drängen sich mehr oder weniger Momente ein, die geeignet sind, die Naturwahrheit der Zeichnung zu trüben. Jeder, der Erfahrungen gesammelt hat beim Abzeichnen von komplizierteren Objekten nach dem mikroskopischen Bilde, wird beobachtet haben, wie ungeheuer leicht man dazu verführt werden kann, manches in der Zeichnung darzustellen, was in Wirklichkeit nicht beobachtet werden kann, weil es gar nicht vorhanden ist. Es gehört die allerstrengste kritische Kontrolle dazu, um das zu vermeiden. Wie kommt das? Das liegt zweifellos daran, daß man bei allen komplexen Gesichtseindrücken immer nur bestimmte Bestandteile des Objektes mit Bewußtsein wahrnimmt, nie alles, was sich im Gesichtsfelde des Auges befindet. Für die zeichnerische Wiedergabe ist aber der Zusammenhang der wirklich beobachteten Elemente notwendig und so ergänzt man das Fehlende. Der kritische Zeichner wird es durch fortwährende, erneute Beobachtung ergänzen, der weniger gewissenhafte nach Maßgabe seiner Kenntnisse, die er durch Abstraktion aus einer großen Anzahl von Beobachtungen an verschiedenen Exemplaren des Objektes, aber nicht aus der speziellen Beobachtung des einzelnen, gerade vorliegenden Exemplares gewonnen hat, das durchaus immer seine eigenen spezifischen Eigentümlichkeiten besitzt."30

Er schränkt damit das zuvor als analog konzipierte Modell insofern ein, als er zu bedenken gibt, daß kulturelles Wissen die Wahrnehmung strukturiert. Oder aus einer anderen Perspektive formuliert: Im Gehirn passiert offensichtlich etwas mit dem Wahrgenommenen, das mit einer rein mechanistischen Übertragung des vor den Augen liegenden Objektes in den senso-motorischen Apparat der zeichnenden Hand nicht erklärt werden kann. (Abb. 11) Für ihn ist das "die durch Abstraktion aus einer großen Anzahl von Beobachtungen an verschiedenen Exemplaren des Objekts" gewonnene Kenntnis. Vorgängige Kenntnis oder kulturelles Wissen schaltet sich also zwischen Beobachtung und zeichnerische Wiedergabe ein.31

Wie ist das aber nun mit seiner Behauptung von der "physioplastischen" Zeichnung, die eine unverfälschte Wiedergabe nach der Natur sei, wie sie in der paläolithischen Kunst seiner Formulierung nach vorliegt? Nimmt man seine Worte ernst, dann kann nur durch ständige erneute Kontrolle am Objekt jede Abweichung vom Beobachteten vermieden werden. Er setzt also voraus, daß das Objekt beim Zeichnen unmittelbar vor den Augen des Zeichners solange zur Verfügung steht, bis die Zeichnung vollendet und abgeschlossen ist.
Sehen wir uns darauf hin die paläolithischen Beispiele an, auf die er sich bezieht und von denen er zahlreiche in seinem Text abbildet.32 Schon ein einziger Fall eines Tieres oder eines Jägers - daraus bestehen die Themen der Höhlenmalerei zum überwiegenden Teil - dessen Wiedergabe eine Aktion erfaßt (Abb. 6, 7), kann wohl kaum aus unmittelbarer Beobachtung am Objekt gewonnen sein, noch viel weniger aus einer ständig kontrollierenden Korrektur dieser Beobachtung am Objekt.

Ausgeprägte zeichnerische Erfahrung und gepaart mit einem guten Erinnerungsvermögen müssen die erforderten Qualitäten eines Zeichners derartiger Kunst sein.33 Das aber ist kulturelles Wissen, über lange Lebenszeit erworben und ständig erneuert, trainiert und produziert. Damit ist ein Abstraktions-Vorgang verknüpft, wenn erworbenes Wissen zur Überprüfung und nachfolgenden Korrektur des zu Zeichnenden eingesetzt wird. In der Tat kommt Verworn in einer späteren Passage dazu, einschränkend dann vom "unmittelbaren Erinnerungsbild" zu sprechen. Ist aber nicht "Erinnerung" ein Vorgang, der ein Moment des Abstrahierens einschließt? Mit dieser Einlassung wäre im Grunde genommen Verworns ganze Hypothese hinfällig und nicht weiter bedenkenswert, wenn er nicht auf etwas anderes noch zu sprechen käme, nämlich der Versuch, den Übergang zur nachfolgenden neolithischen Kunst zu erklären.

Diese unterscheide sich von der paläolithischen durch eine stärkere Schematisierung oder Stilisierung (Abb. 9, 10). Für sie führt er den unterscheidenden Begriff "ideoplastisch" ein. Hier, so sagt er, spiele das Wissen um die Objekte der Darstellung, jenes kulturelle Wissen also eine dominante Rolle. Aber wieso kommt es zu derartigen Schematisierungen durch kulturelles Wissen nach dem Entwurf von Verworn? Gibt es zeitgenössisch vergleichbare Überlegungen bei Anderen, mit denen er sich in guter, abgesicherter Gesellschaft fühlen konnte? Zweifelsohne spielt die Kenntnis der von Theodor Lipps entwickelte Theorie der Einfühlung eine maßgebliche Rolle, die Verworn hier im Folgenden mit dem ihm vertrauten historischen Material zu füllen unternimmt.34
Nachdem er mit der gebotenen Emphase der Bescheidenheit seine Beschäftigung mit dem Problemfeld beschrieben hat, fasste er zusammen:

"Zahlreiche Ausgrabungsreisen nach den klassischen Fundstellen, sowie Studienreisen nach den großen Sammlungen Frankreichs haben mir allmählich ein immer eingehenderes und schärferes Bild von der Kultur der alten Mammut- und Bisonjäger [sic!] der Rentierzeit gegeben. Wichtige Gesichtspunkte habe ich gewonnen aus der vergleichenden Ethnologie. Unschätzbares Material lieferten mir ferner Experimente, die unter planmäßig ausgewählten und systematisch variierten Versuchsbedingungen über zeichnerische Wiedergabe gesehener [sic!] Objekte angestellt wurden und zwar an Schulkindern entlegener Dörfer Thüringens und der Rhön."35

Wenn nämlich die fortwährende kontrollierende Beobachtung des zu zeichnenden Objektes überhaupt ausgeschlossen sei und nur nach dem Gedächtnis gezeichnet wird, könne nur die Vorstellung des Erinnerungsbildes gezeichnet werden, und wenn diesem keine eigene Anschauung unterläge käme es zu abstrahierenden Entstellungen (Abb. 11). Auf der assoziativen Kombination der einzelnen Vorstellungen beruhe alles Denken. "Je reicher das Vorstellungsleben entwickelt ist, um so größer wird die Gefahr sein, daß die Vorstellung ... durch Assoziationen von den verschiedensten Faktoren her verändert wird, also durch unzählige Faktoren, die nicht der unmittelbaren, sinnlichen Wahrnehmung des Gegenstandes entsprungen sind. ... Es wird daher in der Zeichnung nicht das reine Erinnerungsbild des Gegenstandes zum Ausdruck kommen, sondern mehr oder weniger das, was der Zeichner von dem Gegenstande denkt und weiß. Es entwickelt sich so im Gegensatz zur physioplastischen eine durchaus ideoplastische Kunst."36
Kinderzeichnungen liefern dafür nun einen hervorragenden Beleg. Die Kunst der Kinder sei von Anfang an ganz und gar ideoplastisch (Abb. 12). Aber Kinder werden von frühauf "... durch die Erziehung mit einem ungeheuren Vorstellungsmaterial erfüllt, das niemals ihrer sinnlichen Beobachtung entsprungen ..." sein könne. Die motorischen Fähigkeiten blieben gegenüber der Entwicklung des Vorstellungsvermögens im Hintertreffen. Mit ihren Zeichnungen - die er sich nicht scheut "Kunst" zu nennen - brächten sie dies in erstaunlicher Weise zum Ausdruck. Wenn ein Kind eine Gestalt zeichne, bringe es darin alles zum Ausdruck, was es darüber gelernt habe. Es zeichne also das, was es wisse, nicht das was es sähe. "Interessant sind in dieser Beziehung ... die ... Kombinationszeichnungen, die das Kind von den Gegenständen dadurch liefert, daß es verschiedene Ansichten desselben Objektes, die man von verschiedenen Ansichten desselben Objektes, die man von verschiedenen Seiten erhält, zu einem einheitlichen Bilde vereinigt." "Kinderkunst ist demnach nicht mit der frühesten Stufe der physioplastischen Kunst der paläolithischen Zeit in Parallele zu setzen, wie man nach dem biogenetischen Grundgesetze zu erwarten hätte, sondern nur mit der reinen ideoplastischen Kunst der späteren Zeit."37

Dieser Gedanke nun, daß die Kinder-Zeichnung überhaupt in Analogie zu Phasen der Kunst der menschheitsgeschichtlichen Frühzeit in Beziehung stehe, das ist der - von Lamprecht angeregte - zentrale Gedanke, den Verworn hier für seinen speziellen Fall verfolgt und nutzt.38 Für die Kinderzeichnung (Abb. 12, 13) folgert er nun umgekehrt, daß sie den Ursprüngen menschlicher Kultur näher stünde als die durch traditionsreiche Regeln bestimmte Kunstausbildung an den Akademien.39 Deshalb hat sich noch jede weitere der modernen Richtungen innerhalb der Kunst des 20. Jahrhunderts zu ihrer Verteidigung und Begründung gerne auf eben jenen Gedanken berufen. Aber mit welchem Recht?

Wie aber konnte innerhalb kurzer Zeit das bislang als unbeholfene Kritzelei mißachtete Zufallsprodukt kindlicher Phantasieäußerungen in den Rang einer hochkarätigen Inspirationsquelle mutieren? Nicht nur die Argumentationsfolge in Verworns Aufsatz, sondern vor allem seine Wortwahl kann uns lehren, diese Mutation nachzuvollziehen. Für die von Erinnerungen und Assoziationen geprägte typische Zeichnung liefere die Kinderzeichnung einen beispielhaften Beleg.

"Die Kunst des Kindes ist von Anfang an durch und durch ideoplastisch. Ich habe meine Experimente gerade an Bauernkindern aus entlegenen Dörfern angestellt, die mehr Gelegenheit zur Beobachtung der Natur haben und weniger mit Vorstellungsmaterial durch die Erziehung überfüttert werden, weil ich sehen wollte, ob man hier nicht wenigstens in einem früheren Entwicklungsstadium physioplastische Charaktere der Zeichnung finden würde."40
Nach der Analogie von Entwicklung kultureller Fähigkeiten beim Kinde und der der Menschheit insgesamt zu suchen war also die Ausgangsthese. Woher diese Hypothese abgeleitet war, werden wir noch zu sehen haben. Er fährt fort:

"Aber selbst hier ist zu der Zeit, wo überhaupt eine erkennbare Zeichnung [sic!] von den Kindern hergestellt werden kann, der Charakter derselben ein durchaus ideoplastischer. Selbst auf dem Lande werden die Kinder bereits in den frühesten Jahren durch die Erziehung mit einem ungeheuren Vorstellungsmaterial erfüllt, das niemals ihrer sinnlichen Beobachtung entsprungen ist. Wie bei unserer gesamten Erziehung, so hat auch hier die weitaus größte Fülle des geistigen Inhalts nicht direkt als Beobachtungsprodukt durch das Tor der entsprechenden Sinne ihren Einzug gehalten. Die sinnliche Beobachtungsgabe ist ebenso wie die motorische Geschicklichkeit im Vergleich mit dem hoch entwickelten Vorstellungsleben völlig zurückgeblieben. Die Kunst des Kindes bringt das in erstaunlicher Weise zum Ausdruck. Wenn das Kind ein Pferd zeichnet oder eine Kuh oder einen Mann, so zeichnet es alles, was es davon gelernt hat. ... Besonders charakteristisch sind die Fälle, in denen das Kind die Körperteile durch die Kleidungsstücke hindurch sichtbar zeichnet, wie das vielfach auch in der ganz ideoplastischen Kunst des alten Ägypten geschah. Das Kind zeichnet dabei, was es weiß."41
"So entstehen Menschenzeichnungen mit einzelnen Körperteilen en face, mit anderen im Profil, wie das auch in der ideoplastischen Kunst der Ägypter wieder zur Regel gehört. [...] Die Kinderkunst ist also nicht mit rein physioplastischer Kunst der paläolithischen Zeit in Parallele zu setzen, wie man nach dem biogenetischen Grundgesetze hätte denken können, sondern vielmehr mit der streng ideoplastischen Kunst der späteren Zeiten."42
Hört man genau hin, finden sich in diesen beiden Passagen die ausschlaggebenden Argumente gebündelt. Erstens sagt er, daß die naturgetreue Nachzeichnung nur erst als Zeichnung Geltung beanspruchen kann. Wir wissen aber längst, daß Kinder davor noch mindestens in zwei genau unterscheidbaren Entwicklungsphasen Zeichnungen produzieren, die nicht mit dem Verwornschen Modell in Einklang zu bringen sind. Das ist die sogenannte "Kritzelphase" und darauffolgend die Phase der "Kopffüßers" (Abb. 14).43 In der ersten entstehen höchst freie Liniensequenzen aus der Körpermotorik, deren Rhythmus gleichsam unwillkürlich niedergeschrieben wird. Dabei lassen sich zwei Bildtypen unterscheiden: Das sogen. Urknäuel und das Urkreuz. Dann stellt er fest, daß Geistiges in der "weitaus größten Fülle" kein Ergebnis der Beobachtung sei, sondern ein Produkt der gesellschaftlichen Erziehung, d.h. der willentlichen oder unwillentlichen Aneignung von kulturellem Wissen. Mit anderen Worten: Man sieht nur, was man weiß, wofür man über einen geeigneten Begriff verfügt. Mit dieser Prämisse eröffnen sich drei Perspektiven, unter denen seine Thesen und Argumente zu lesen sind.

Das ist erstens die universalgeschichtliche Diskussion durch Lamprecht, der das biogenetische Grundgesetz als heuristisches Prinzip in die Kulturgeschichte einführte. Verworns Vortrag steht im Kontext der durch Lamprecht in Leipzig organisierten Sammlung von Kinderzeichnungen.44 Dessen Ziel war die Konfrontation des biogenetischen Grundgesetzes mit der geistigen Entwicklung des Individuums, unter dem Begriff vom "Rekapitulationsgedanken" formuliert: Die Ontogenese sei eine vergleichsweise kurzzeitig wirksame und schnelle Rekapitulation der Phylogenese. Lamprecht wollte empirisch auch für die gesamte Kulturgeschichte verifizieren, was ideengeschichtlich bereits am Ende des 18. Jahrhunderts formuliert worden war, wie etwa 1780 von Lessing: "Eben die Bahn, auf welcher das Geschlecht zu seiner Vollkommenheit gelangt, muß jeder einzelne Mensch (der früher, der später) erst durchlaufen haben." 1891 fordert Lamprecht im Rahmen der universalgeschichtlichen Debatte dazu auf die psychologischen Gesetze zu ergründen, nach denen die Entwicklung der Völker in der Vergangenheit sich vollzogen habe und heute noch vollziehe. Dazu gründete er 1909 ein Institut in Leipzig. Dort wurden für dieses Forschungsvorhaben rasch über hunderttausend Kinderzeichnungen aus aller Welt zusammengetragen.
Als zweites haben wir zu überlegen welche Folgen die Bedürfnisse der zeitgenössischen Industrie für die Wünsche bei der Ausbildung von Zeichnern zeitigte.

Nach Rousseau und Pestalozzi hatte die Kinderpsychologie in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts eine pädagogische Reformbewegung auch in den deutschen Ländern zur Folge, die sich besonders am Zeichenunterricht festmachte. Erst zwischen 1863 und 1870 kam es zur endgültigen Umsetzung des von Humboldt nach Pestalozzis Grundsätzen geformten Zeichenunterrichts. Diese bestanden bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in mechanischem Drill auf reinliches, mechanisches Zeichnen geometrischer Elemente und Figuren (Abb. 15). Aber die Zeiten waren fortgeschritten, die Industrie benötigte andere Ausbildungsqualitäten.45 Zahlreiche Reihenuntersuchungen - für Verworn offensichtlich Vorbild - führten zu Publikationen, in denen die Eigenständigkeit kreativer Fähigkeiten von Schulkindern ergründet werden sollte. In diesen Untersuchungen schlugen sich Überlegungen nieder, die 1856 und 1868 in Frankreich und durch Ruskin in England formuliert worden waren. Deren Umsetzung scheiterte zwar vorerst an der schulischen Praxis, bestimmten aber offenkundig die Diskussion.
Davon sind hier zwei Argumente von Wichtigkeit: Mängel sind als Quelle oder doch als Ausweis von Originalität zu werten, und die zeichnerische Skizze ist Ausdruck des individuellen Charakters. Letzteres ist eine Entdeckung bereits des 16. Jahrhunderts, deren kunstpädagogische Konsequenzen erst zu diesem späten Zeitpunkt ansatzweise verschiedentlich angesprochen wurden.46 Aus eben jener Diskussion läßt sich - drittens - Verworns Unterscheidung von physio- und ideoplastisch ableiten: Wenn unter "Physioplastisch" der Vorrang des Wahrnehmens verstanden wird, wird dieser Vorrang in der Kunstpädagogik erst spät im 19. Jahrhundert als fundamentale Disposition zum Zeichnen formuliert.47 Dem ist das "Ideoplastische", vorrangig vom Wissen erlernbarer Regeln bestimmte, entgegengesetzt. Und dies entspricht der älteren kunstpädagogischen Intention und schulischen Praxis.

Aber zurück zu Kindern und Jägern. Zu Recht müssen wir gelten lassen, daß es Unterschiede in der Malerei und Zeichnung des Paläolithikums und - zudem je nach Fundort - des Neolithikums gibt. Das ist unbestreitbar. Verworn hat völlig zu Recht darauf aufmerksam gemacht. Nur daß er diesen Unterschied unausweichlich als eine Abfolge in der Zeit interpretieren wollte. "Entwicklung" bedeutete hier bei ihm die Rettung der Vorstellung, daß Älteres immer von geringerer geistiger Potenz und gestalterischer Dichte zu sein habe.

Dieses entwicklungsgeschichtliche Axiom kann er trotz aller seiner subtilen Differenzierungen der Beobachtung an den Zeugnissen nicht in Frage stellen.48 Gleichzeitigkeit ist für ihn nicht vorstellbar. Das aber ist die Konsequenz aus dem Versuch der Übertragung der Rekapitulations-These, die bei ihm selber ebensowenig, wie z.B. bei Worringer thematisiert wurde, wiewohl gerade diese Hypothese nicht erst seit 1906 eine hitzige Debatte auslöste, als Arnold Braß in Leipzig ein Buch veröffentlichte, in dem er Haeckel der Fälschung seiner Belege bezichtigte (Abb. 16 - 17). Verworn geht darauf aber nicht ein. Er folgerte in Anlehnung an Wundts Universalidee: "Alles Theoretisieren und Spekulieren war dieser [früheren] Kulturstufe [des Paläolithikums] vollkommen fremd, und daher waren die Bedingungen für die Entwicklung einer ideoplastischen Kunst noch gar nicht gegeben."49

Verführt wurde er offensichtlich zu diesem Argument in seiner kritischen Distanz zum Naturalismus: "Es ist ein großer Fehler, den wir machen, wenn wir uns durch die Schwierigkeit, die selbst heute der Durchschnittsmensch bei dem Versuche einer naturalistischen Reproduktion gesehener Objekte empfindet, zu der Ansicht verleiten lassen, daß der Naturalismus immer unbedingt eine höhere Entwicklungsstufe des künstlerischen Könnens bedeuten müsse, als die verzerrte, verfratzte, bizarre, phantastische Darstellungsweise der meisten Naturvölker."50 Lesen wir auch diesen zweiten Teil des Arguments als eine These zur zeitgenössischen Kunst, erkennen wir hier bereits den Ansatz einer verständnisvollen Verteidigung der Moderne des frühen 20. Jahrhunderts gegen den akademischen Naturalismus, denn sie sei von "unübertreffliche[r] Naturwahrheit..." und "fast immer realistisch...".51

Wo aber bleibt nun beim Kinde die der paläolithischen Kunst analoge Entwicklungsphase, die seinem Modell entsprechend doch vor der ideoplastischen Phase aufzufinden sein müßte? (vgl. Abb. 14) Sein durchaus einleuchtend erscheinendes Argument lautet: Die können wir beim Kind an Zeichnungen deswegen nicht ausmachen, weil in dem Moment, zu dem es mental die entsprechende Entwicklungsphase durchmache, körperlich noch nicht in der Lage sei, das Beobachtete motorisch so umzusetzen, daß die Zeichnung völlig seiner Beobachtung entspräche.52
Daß aber auch die entgegengesetzte Überlegung anzustellen wäre, nämlich: Daß das Kind diese Phase nicht vor, sondern unter bestimmten äußeren Bedingungen erst nach der ideoplastischen Phase erreicht, kommt ihm unter dem Dach der Haeckel/Lambert-Hypothese nicht in den Sinn. Da er andererseits völlig im Banne einer traditionellen Mimesis-Vorstellung argumentierte, läßt ihn die Konsequenz eines anderen Gedankens nicht erfassen: Daß nämlich "physioplastisch" auch bezeichnen kann, daß das Kind vor der ideoplastischen Zeichnung physioplastisch eine innere Befindlichkeit darstellen könnte! Und das wäre der entscheidende Verbindungsgedanke zur modernen, ihm zeitgenössischen Kunst etwa Redons oder später der von Max Ernst gewesen, das Anliegen vieler Expressionisten ebenso.





III. Ursprünglichkeit, Spontaneität, Phantasie.



1914, auf der 15. Hauptversammlung des Landesvereins akademisch gebildeter Zeichenlehrer Preußens in Bonn, hielt Verworn - inzwischen an das Physiologische Institut der Universität Bonn berufen - einen weiteren Vortrag, den er ganz unter den Blickwinkel der "Ideoplastischen Kunst" stellte. In ihm behandelt er "... die spezielle Psychologie der von der Naturwahrheit abgewandten Kunst der späteren prähistorischen Perioden, ferner der heutigen primitiven Stämme, der historischen Zeiten, der modernen Expressionisten und Futuristen, und endlich des Kindes."53

Ein Gutes habe die erbitterte Kontroverse um die neue Kunst gehabt: "Sie haben uns veranlaßt, die bisherigen Vorstellungen von dem, was eigentlich Kunst ist, einmal gründlich zu revidieren.... Und schon spricht man von Kunst, wo es früher als Blasphemie gegolten hätte, diesen Ausdruck zu gebrauchen."54 Denn, so seine überraschende Synthese der Formulierung des Auf und Ab des Kunstgeschehens seit der Prähistorie und der Antike bis in die Neuzeit und Gegenwart:
"Die Kulturentwicklung ist gewaltig fortgeschritten, und dennoch erscheint die Kunst degeneriert!"55 Aber sie sei dennoch - oder gerade deswegen - "... eine unschätzbare Quelle für die Beurteilung geistigen Lebens." Mit ihr könne man "... die verborgendsten Winkel des Empfindens und Denkens und Fühlens erleuchten ..."56
Damit vertritt er eine exponiert expressionistische Kunsttheorie, die einen derartigen Blick auf die Person erlaube, als ob deren Innerstes bloßgelegt sei. Diese teilt ihr Anliegen mit der von Klages vertretenen Graphologie, mit der zeitgenössischen Physiognomik - etwa Bühlers - und der Psychoanalyse der Freud-Schule.57 An dieser Stelle aber wendet er sich offen gegen Lamprecht und Kretzschmar58, die, unter Berufung auf das biogenetische Grundgesetz Ernst Haeckels, einen "... rücksichtslosen Parallelismus konstruieren wolle[n] zwischen der Kunstentwicklung in der Geschichte der Menschheit und der Kunstentwicklung im Leben des Kindes."59

Wie wir schon zuvor gesehen haben vertritt auch Verworn eine der anthropologisch-biologischen Deszendenz-Theorie nahestehende Hypothese. Es wäre daher nicht erstaunlich, wenn wir seinen 1907 gehaltenen Vortrag vor dem Hintergrund einer öffentlich und sehr polemisch geführten Auseinandersetzung um das 'biogenetische Grundgesetz' lesen können.

Diese Auseinandersetzung führte Arnold Braß mit Ernst Haeckel seit 1906.60 Der entscheidende Nachweis und der daraus resultierende Vorwurf gegen Haeckel lautete "Fälschung" von Zeichnungen. Das ist sicherlich Grund genug, in unserem Zusammenhang darauf einzugehen. Zum ersten Mal legte Braß in einer Schrift von 1906 im einzelnen dar, was an den Illustrationen zu Haeckels Werken aus den "gefälschten", d.h. durch Fortlassungen, Ergänzungen und willkürlichen Korrekturen zur Stützung der im Text vorgetragenen Thesen gewonnenen Bilder dem Wunschdenken des Auftraggebers oder des Zeichners anzulasten sei. Das Ziel von Braß war, gemäß seiner Funktion im 'Keplerbund'61, den christlich motivierten Kampf gegen den von Haeckel in Jena 1905 gegründeten 'Monisten-Bund' zu leiten und die Aufdeckung der wissenschaftlichen Schwächen und Inkonsistenzen des 'biogenetischen Grundgesetzes' publizistisch zu betreuen.62

Verworn wirft den Vertretern dieser Hypothese vor, daß sie sich mit der Annahme haben retten wollen, vor der von Verworn als "physioplastisch" bezeichneten prähistorischen Kunst habe es noch eine frühere Phase geben müssen.63 Sie solle nun derjenigen entsprechen, die man beim Kinde beobachten kann, bevor es zur "naturalistischen", dem Gesehenen entsprechenden Darstellung gelange - also die "Kritzelphase" etwa (Abb. 14).64 Dagegen verwehrt sich Verworn. Er insistiert auf der inneren Logik der Abfolge von Darstellungen des Gesehenem vor der Darstellung des Gewußten. Dabei hält er wiederholt fest, daß diese spätere "dekadente" Darstellungsform u.a. als Indikator dafür gewertet werden könne, daß die Dualität von Körper und Geist, Materie und Seele erkannt worden sei.65 Dafür sprächen vor allem neben der Kunst die vorher nicht nachweisbaren Bestattungsriten der Frühzeit.66 Verworn klammert also jede bildnerische Äußerung im frühkindlichen Alter aus, die nicht in irgendeiner Weise als abbildend oder ornamental bezeichnet werden kann. Sein Bildbegriff ist insofern traditionell, naturalistisch und eng in der klassischen Mimesis-Theorie befangen. Den entscheidenden Schritt darüber hinaus, nämlich jede vom Menschen, gleich welchen Alters, erzeugte graphische Spur gleichsam als Ausdrucksträger - im Sinne der aktuellen Graphologie-Diskussion - zuzulassen, liegt ihm völlig fern.

Die besondere Wende dieses Vortrags aber ist ein Vergleich modernster Kunstrichtungen mit Erscheinungen in der Kunst des Paläolithikums (Abb. 18 - 20).67
"Einen enormen Umfang aber nimmt die[se] Einführung von Ornamentmotiven in die figurale Kunst an in den späteren Kulturen. Hier liegt z.B. der Ursprung des geometrischen Stils der späten Bronze- und älteren Eisenzeit. Man ist so für die geometrische Linienführung in der Form von Dreiecken eingenommen, daß man die Menschen und Tierdarstellungen in einfache geometrische Formen zwängt. Wir können hier in Analogie zum modernen Kubismus direkt von einem Triangulismus sprechen. Sie sehen, der moderne Kubismus, der ebenfalls aus Begeisterung für gebrochene Linien und Winkeln, sogar alle in der Natur runden Formen in seinem geometrischen Formideal wiederzugeben strebt, ist durchaus keine moderne Kunstrichtung. Der geometrische Ornamentstil, wie er im heutigen Kubismus auftritt, ist aber auch bei außereuropäischen Völkern schon in prähistorischer Zeit zu hoher Ausbildung gelangt."68
Wenn wir vielleicht auch die von ihm gewählten Beispiele der modernen Malerei in einzelnen Fällen gegen einschlägigere, ihm damals nicht zugängliche Kunstwerke austauschen möchten, seine These scheint überzeugend, vor allem wenn man zudem noch bedenkt, daß er auf eine Publikation von 1885 verweist.69

Verweise auf "kubistische" Kinderzeichnungen finden sich gleich im Anschluss. Ich will hier nicht weiter ausführen, was er an einschlägigen Beispielen aus der keltischen und mittelalterlichen Kunst beizutragen hat, interessant sind hier die von ihm gezogenen Schlüsse. Die Vollendung der "ideoplastischen" Kunst sieht er in "... durchaus neue[n] Formgebilde[n], die hier durch Synthese der heterogensten Ideenelemente zustande kommen."70

Belege dafür fand er bei den Melanesiern (Abb. 21), den Polynesiern, den Hopi-Indianern (Abb. 20), in Neu-Guinea und in der ägyptischen Kunst. Beispiele aus der zeitgenössischen Werbung und Karikatur dienen ihm als evidente Vergleiche (Abb. 18, 19). Doch mit dem Angebot eines breiten Bereiches zeitgenössischer bildender Kunst ging er hart ins Gericht:
"An die phantastische Ideoplastik lehnen sich moderne Bestrebungen gewisser Expressionisten und Futuristen an, die darauf hinausgehen, sich womöglich vollkommen von den sinnlich wahrgenommenen Dingen bei der Darstellung zu emanzipieren."71

Mit sogenannten jungen Künstlern oder gar pathologischen Fällen, von denen mehr als genug mit billigen Bluffs versuchten, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, mag er sich - zu Recht - nicht abgeben. Doch die ernsthaften Versuche künstlerisch neuer Tendenzen könne man nicht einfach ignorieren, auch wenn man deren Werke "... als falsch und verkehrt ..." betrachte. Der Kern nun dieser neuen Tendenzen bestehe darin, "daß man gegen die enge Fassung unseres bisherigen Kunstbegriffs Front macht und den Begriff freier und weiter ausgestalten will, indem man der bildenden Kunst die Berechtigung zu erkämpfen versucht, überhaupt
a l l e Bewußtseinsinhalte zum Gegenstand ihrer Darstellung zu machen."72

Diese Bewußtseinsvorgänge seien vor allem solche, denen keine Körpervorstellungen zugrunde liegen. Dazu gehören nach Verworn: Empfindungen, Gefühle und Stimmungen. Er leugnet nicht, daß es sehr wohl möglich sei "innerhalb gewisser Grenzen", die er allerdings für die bildende Kunst sehr viel enger gesteckt sieht, als z.B. für die Musik, durch reine Farbzusammenstellungen oder Linienführung "eine ästhetische Empfindung, etwa die des Wohltuenden, Angenehmen oder des Unangenehmen, Unbehaglichen zum Ausdruck zu bringen."73

Viele "extreme Erzeugnisse" der expressionistischen Kunst ( - und als solche bildet er eine Zeichnung von Gino Severini "Tango" und eine von Wassily Kandinsky, "o.T.", ab74) seien aber schlechterdings unverständlich und nicht imstande, irgendeinen anderen Bewusstseinsinhalt beim Beschauer auszulösen, als den einen Gedanken: "Wie muß es in diesem Gehirn aussehen?" Also wiederum der ständige Pathologie-Verdacht, den er immer wieder geschickt rhetorisch anpeilt, um ihn anschließend umso besser aufheben zu können. Denn er geht davon aus, daß auch diese Künstler ihre Werke ausstellen, damit der Beschauer erkennen möge, was sie darzustellen beabsichtigen, und nicht etwa, was der Betrachter sich zu sehen aufgefordert sieht, eine aus unserer Perspektive gewichtigere Frage. Dies aber könne traditionelle Kunst weitaus besser als die futuristische.

Nunmehr nimmt er seine Zuhörer bei der Hand und läßt sie mit knappen Sätzen wissen, wie denn diese moderne Kunst zustande komme. Eine reine Naturwiedergabe entstehe dadurch, daß weder Assoziationen noch Wissen um den Gegenstand vorhanden seien: das Ergebnis sei "naive physioplastische Kunst", oder aber daß diese bewusst ausgeschaltet oder unterdrückt würden: So käme "bewußte physioplastische Kunst" zustande. Nur so ließe sich das "rein Gesehene" in einer Darstellung festhalten.75 Die moderne Kunst sei in diesem Sinne als ein bewusster Versuch zu verstehen, nur die Assoziationen, nicht aber mehr den zugrunde liegenden Gegenstand oder das Ereignis physisch wiederzugeben. Mit seinen Produkten allerdings käme der Expressionismus oder der Futurismus nicht annähernd an das heran, oder gar über das hinaus, was die phantastische ideoplastische Kunst der primitiven Völker leiste. Ihnen sei es gelungen "mit oder ohne Hilfe von Farben alle Stimmungen, Gefühle und Leidenschaften des Menschen packend wiederzugeben."

In dieser sympathischen und durchaus verständlichen Schlußemphase dieses Teiles seines Vortrags bleibt er allerdings den Nachweis, wie er von den gezeigten Beispielen (Abb. 21) z.B. auf "packende Wiedergabe von Leidenschaften" schließen will, schuldig. Das aber hatten in der Zwischenzeit zahlreiche Künstler der Moderne, wenn auch meist gegenüber der Öffentlichkeit ihre Inspirationsquelle - die kindliche Zeichnung - verheimlichend, in ihrer Praxis durchgespielt, wie die Münchner Ausstellung von 1995 nachhaltig aufgewiesen hat.76 Unser Problem wird es weiterhin bleiben nachzuzeichnen, welche Geladenheit mit Emotionen an dieser - früheren oder auch späteren - Kunst denn für den Betrachter überhaupt noch nachvollziehbar sich erhält. Die historische Gleichzeitigkeit oder Ungleichzeitigkeit aber von bildnerischen Phänomenen in den unterschiedlichsten Phasen der Menschheits- und Individualgeschichte wird sich für viele Bereiche nie ganz klären lassen, weil die materielle Überlieferung nicht hinreichend dicht ist, um eine einfache oder gar eindeutige Entscheidung treffen zu können.




Abgekürzt zitierte Literatur:


Verworn 1907: Max Verworn, Zur Psychologie der primitiven Kunst. Göttingen 1907. 2.Auflage, Jena 1917. 48 S., 35 Abb.

Verworn 1909: Max Verworn, Die Anfänge der Kunst. Ein Vortrag. (1909), Zweite Auflage, Jena 1920. 74 S., 3 Taf., 32 Abb.

Verworn 1914: Max Verworn, Ideoplastische Kunst. Ein Vortrag. Bonn 1914. Jena 1914. 74 S., 71 Abb.


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Abbildungsverzeichnis:


1 a. Genie des Kindes, Ausstellungsplakat 1923.
1 b. Die Kunst der Primitiven, Buchtitel 1923.
2. Nitka, Karikatur in Harpers Magazine, july 1968.
3. Köln, Bayenturm, Postkarte, um 1905.
4. Sitzplan für das Festbankett, 1906.
5. Höhle von Altamira, Bison / Höhle von Font de Gaume, weidende Rentiere, nach Verworn, 2.Aufl., 1920, Taf.2.
6. Buschmannzeichnungen von Jagdszenen, nach Verworn 1920, Fig.32.
7. Höhle von Gourdan, Zusammenbrechendes Rentier, Steingravur, nach Verworn 1920, Fig.20 a.
8. Grotte du Roc du Courbet, Gazellenköpfe, Knochenritzungen, nach Verworn 1920, Fig.20 b.
9. Grotte von Gourdan, Rentier en face, Knochenzeichnung, nach Verworn 1920, Fig.30.
10. Ödenburg, Urnendekor, nach Verworn 1920, Fig.10 A-D.
11. Umgestaltende Wirkung fortgesetzten Kopierens, A Original, B zehnte Kopie, nach Verworn 1920, Fig.6 a.
12. Wagendarstellung: eines 14jährigen Jungen (I), Urne der Eisenzeit aus Ödenburg, nach Verworn 1920, Fig.25.
13. Mann und Frau: Zeichnungen eines 12jährigen Jungen (I) und eines 12jährigen Mädchen (II), nach Verworn 1920, Fig.23.
14. Stufen der Kinderzeichnung nach Levinstein 1905, Tab. I.
15. Übung des Zeichnens mit beiden Händen, Foto um 1900.
16. Haeckel, Embryonen
17. Braß, Affen-Problem, 1908, Titelblatt
18. Kandinsky, Portrait W. Burljuk, um 1910. Nach Verworn 1920, Fig.11.
19. Werbung für Kathreiners Kaffee, um 1910. Nach Verworn 1920, Fig.34 B.
20. Sonnenadler der Hopi-Indianer, Tonschale aus Tewua. Nach Verworn 1920, Fig.37.
21. Meergeist der Melanesier. Nach Verworn 1920, Fig.30.






ANMERKUNGEN



1 E. Young, "Conjectures on Original Composition. In a letter to the author of Sir Charles Grandison (d.i. Samuel Richardson)." London 1759; vgl. H. Wolf, "Versuch einer Geschichte des Geniebegriffs in der deutschen Ästhetik des 18. Jahrhunderts." In: Beiträge zur Philosophie, Heidelberg 1923, S.31, 33 ff.

2 Runge schrieb 1803 in einem Brief an seinen Bruder Johann Daniel:" ... wenn aber nur die Menschen wie Kinder die Welt ansähen, so wär die Kunst eine artige Sache...". In: Erich Hancke, "Briefe von Ph. O. Runge." Berlin 1913, S. 225. A. Schopenhauer, "Die Welt als Wille und Vorstellung." In: "Sämtliche Werke." Bd. 3, 3, Kap. 31, Leipzig 1919, S. 453: "Wer nicht zeitlebens ein großes Kind bleibt, sondern ein ernsthafter, nüchterner, durchwegs gesetzter Mann wird, kann ein sehr nützlicher und tüchtiger Bürger dieser Welt sein, nur nimmermehr ein Genie. In der Tat ist das Genie dadurch, daß jenes dem Kindesalter eigene überwiegen des sensiblen Systems und der erkennenden Tätigkeit sich bei ihm abnormerweise das ganze Leben hindurch erhält, also ein perennierender wird." Vorrangig zu den englischen Autoren des späteren 19. und frühen 20. Jh.: George Boas, "The Cult of Childhood." = Studies of the Warburg Institute, Bd. 29, London 1966, S. 79 - 102; Priscilla Robertson, "Home as a Nest: Middle Class Childhood in Nineteenth Century Europe." In: Lloyd de Maus (Ed.), "The History of Childhood." (1974) New York - London 1975, S. 407 " 431.

3 Der wohl früheste Versuch der ästhetischen Würdigung kindlich zeichnerischer Kreativität (la vive et naive imagination de l'enfance) findet sich in Albert Aubert (Hrsg.), "R"flexions et Menus-Propos d'un peintre G"nevois, ou Essay sur le Beau dans les Arts, par R[odolphe] Topffer." Paris 1848, Bd. 2, Buch 6, Kap. 20 - 22: "O" il est question de petits bonshommes", S. 104 - 118, dort auch ein vergleichender Verweis auf die Kunst der "sauvages", S. 110, denen eine gleichwertige kreative Leistung zuerkannt wird. Zu Künstlern nach 1900: Marcel Franciscono, "Paul Klee und die Kinderzeichnung." In: Jonathan Fineberg (Hrsg.), "Kinderzeichnung und die Kunst des 20. Jahrhunderts." Stuttgart 1995, S. 29. Erwähnenswert ist hier auch die Tätigkeit des Malers und Kunstpädagogen Ci"ek (1865 - 1946), vgl. L. W. Rochowanski, "Die Wiener Jugendkunst. Franz Ci"ek." Wien 1946, S.15 ff.

4 Gegen diesen Vorwurf noch 1911 Wilhelm Worringer, "Entwicklungsgeschichtliches zur modernsten Kunst." In: "Deutsche und französische Kunst. Eine Auseinandersetzung deutscher Künstler, Galerieleiter, Sammler und Schriftsteller." München, R. Piper, 1911, 3. Aufl. (1913), S. 92 - 99, hier: S. 94.

5 Materialreich dazu: "A Child of Six could do it." Ausstellungs-Katalog Tate-Gallery, London 1973.

6 Zum Prozeß der Eingrenzung moderner Kunstbegriffe von älteren der "artes" Paul Oskar Kristeller, "The modern system of arts." In: Journal of the History of Ideas, Bd. 12, 1951, S. 496 - 527; Bd. 13, 1952, S. 17 - 46. "Das moderne System der Künste." In: "Humanismus und Renaissance. Bd. 2: Philosophie, Bildung und Kunst." Hrsg. von Eckhard Keßler. München 1976, S. 164 - 206.

7 1895 wurde in Berlin der "Pan", 1896 in München die Zeitschrift "Jugend" und seit 1898 "Ver Sacrum" als Organ der Wiener Sezessionisten herausgegeben; welche Rolle die "Jugendkunst" von Ci"ek in Wien spielte, geht aus der sehr leichtfüßig mit hagiographischer Intention verfaßten Biographie Rochowanskis (Anm. 3) nicht hervor. Die Vorstellung von der "unschuldigen Gemeinschaft" wurde indessen am nachhaltigsten von der Wandervogel-Bewegung geprägt: W. Laqueur, " Young Germany. A History of the German Youth Movement." New York 1962. Zum Konzept der "jugendlichen Unschuld natürlicher Gemeinschaft" siehe F. Tönnies, " Gemeinschaft und Gesellschaft." Berlin 1887. Zu den prägenden Formulierungen aus dem Kreis der Wiener Sezessionisten von 1898 mit der Vorstellung von der "siegreiche Kraft" des Geistes der Jugend vgl. Georg Reinhardt, "Die frühe "Brücke". Beiträge zur Geschichte und zum Werk der Dresdener Künstlergruppe "Brücke" der Jahre 1905 bis 1908." In: Brücke-Archiv, Nr. 9/10, Berlin 1977 - 78, S. 86 ff. In ihren Publikationen bezogen sich die Brücke-Künstler auch in Abbildungen immer wieder auf "primitive Kunst". Auf die Rolle von F. Nietzsches "Der Wille zur Macht." von 1901 und der durch Johannes Schlaf besorgten deutschen Übersetzung von Walt Whitman, "Leaves of Grass." (1855), die Leipzig 1907 erschien, kann hier nicht näher eingegangen werden.

8 "Kölner Stadt-Anzeiger", Abend-Ausgabe Nr. 342, Montag, 29. Juli 1907, 2. Bl, ganzseitiger Bericht: "Internationaler Anthropologen-Kongress I./Köln 29. Juli/ Eröffnungsfeier. (Erster Tag)/ Die aus Anlass der Eröffnung des hiesigen Anthropologischen Museums hier stattfindende Tagung von Gelehrten aus Deutschland, Belgien, Frankreich, Norwegen, Schweden, der Schweiz, aus Ungarn, Nordamerika und Brasilien hat gestern vormittag im Gürzenich ihren Anfang genommen... [2. Vortrag]..." (vgl. Abb. 4, Bl. 53 Sitzplan): Verworn, li.: Prof. Bardenheuer, re.:Prof. Weegmann, zuvor neben dem Oberbürgermeister am oberen Kopfende placiert gewesen.

9 Zur Geschichte dieses anthropologischen Museums führt der erste Vorsitzende der Anthropologischen Gesellschaft, Carl Rademacher (3. 8. 1859 - 29. 1. 1935, seit 1881 Lehrer an der Schule Zugweg in Köln), in dem von ihm herausgegebenen Führer u.a. aus: "Im Jahre 1903 vereinigten sich in Köln eine Anzahl Herren, um nach dem Beispiel anderer Städte auch in unserer Vaterstadt eine Anthropologische Gesellschaft zu gründen. Dieser Verein stellte sich die Aufgabe, für die Verbreitung der anthropologischen Wissenschaft, also der Lehre vom Menschen, in Cöln tätig zu sein, und zwar 1. Durch Zusammenschluß der für die Anthropologie begeisterten Kreise. 2. Durch Vorträge (im Verein und öffentliche), welche die drei Gebiete unserer Wissenschaft, nämlich somatische Anthropologie, Ethnologie und Prähistorie umfassen. 3. Durch Sammlungen. 4. Durch Schaffung einer vorgeschichtlichen Bibliothek. ... Durch Ankauf und Schenkungen vermehrte sich die Sammlung in einer Weise, daß der Plan der Gründung eines prähistorischen Museums zielbewußt fortgeführt werden konnte. In richtiger Wertschätzung und durchdrungen von der Bedeutung der vorgeschichtlichen Wissenschaft, hat die Stadt die Uebernahme der Sammlung der Anthr. Gesellschaft beschlossen, den Bayenturm als Museum bestimmt und denselben mit den notwendigen Ausstattungsgegenständen versehen. Außerdem hat sie eine besondere Kommission zur Verwaltung des neuen Museums gewählt und von [!] 1.April 1907 an dem Museum einen eigenen Etat im Haushaltsplan zugewiesen. Die feierliche Uebergabe des Museums an die Stadt erfolgte am 30.Juli 1907 und war verbunden mit einer wissenschaftlichen Tagung, zu welcher zahlreiche und namhafte Gelehrte des In- und Auslandes erschienen." "Führer durch das städt. prähistorische Museum im Bayenturm zu Cöln. Eröffnet am 29. Juli 1907." Von Rektor C. Rademacher, Cöln, o.J.(1913), S.3-5. Ein Exemplar findet sich in der Bibliothek des Römisch-Germanischen Museums der Stadt Köln, Sign.: C 207. Vgl. Historisches Archiv der Stadt Köln, Abt. 47 - 52, 284 "Städtisches Museum für Vor- und Frühgeschichte, Bayenthurm, Köln a.Rh.", Bl. 4.: "Cöln, 5.November 1906./ Seit August d.J. ist der Bayenturm für die Zwecke des vorgeschichtlichen Museums in Benutzung genommen. Der Museumsaufseher Ingenhoven hat die Reinigung der Säle ausgeführt, weshalb ihm die Reinigungsgebühr von 1. August d. J. an zusteht; ausserdem bitte ich dem Hr. Ingenhoven für die nothwendige Heizung freien Brand zu gewähren./ Rademacher./ Herrn Oberbürgermeister Becker/ Hier./ Der Oberbürgermeister Cöln, 23./11.06./ 1. Dem Herrn Museumsaufseher Ingenhoven ... bewilligt." Bl. 56: Stadt-Anzeiger, Abend-Ausgabe Nr. 342, Montag, 29. Juli 1907, 2. Bl.: "Das Anthropologische Museum im Bayenthurm/ das die hiesige Anthropologische Gesellschaft bekanntlich der Stadt zum Geschenk gemacht hat, wurde heute vormittag 11 1/2 Uhr im Gürzenich der Verwaltung durch einen feierlichen Festakt übergeben." Eine Mitgliederliste findet sich in der gleichen Dokumentensammlung, die von Interesse ist, weil sie ausweist, ob z.B. der Anteil bestimmter Berufsstände in diesem Verein wesentlich anders sich darstellt, als in anderen Vereinen Kölns zu dieser Zeit.

10 Profé, "Geschichte der Cölner Anthropologischen Gesellschaft." In: Rademacher 1913 (wie Anm. 9), S. 5 - 13. Am 3. 8. 1903 als "Cölner Anthropologischer Verein" gegründet, 1904 in "Anthropologische Gesellschaft" umbenannt und 1908 mit dem Zusatz "... und Verein zur Förderung des städtischen prähistorischen Museums" fortgeführt. Dieser 34 Jahre nach dem ersten deutschen Prähistorischen Verein (Berlin 1869) und 33 Jahre nach dem "Deutschen Prähistorischen Verein" (1870) gegründet und die Bereitschaft der Stadt zur Unterstützung hat zwei Perspektiven: 1. 1857 wurde der Neandertal-Fund von 1856 publiziert, das namensgleiche Museum dann erst 1937 eröffnet. Der diluviale Knochenfund - schon bald als wichtiges Beweisstück der "Deszendenztheorie" gewertet (z.B. C. Fuhlrott, "Der fossile Mensch aus dem Neandertal." Duisburg 1865) - verblieb zunächst im Privatbesitz in Elberfeld, also auf protestantischem Territorium. 2. In der Geschichte der Anthropologie war es die Zeit, die vom Positivismus der 2. Hälfte des 19. Jh. bestimmt ist, vgl. W. E. Mühlmann, "Geschichte der Anthropologie." Wiesbaden 1984, S. 85 ff, zu dem die Repräsentanten der Hochburg des rheinischen Katholizismus wenig beizutragen hatte, im Gegenteil - da zu der Zeit ohne Universität - eher in Gegnerschaft standen.

11 Max Verworn, * Berlin 1863, + Bonn 1921, 1895 Professor für Physiologie in Jena, 1901 Göttingen, 1910 Bonn, an der Wilhelm Worringer (vgl. Anm.28) 1906 seine Dissertation einreichte. Ob Verworn und Worringer sich je kennen gelernt haben ist bisher nicht nachzuweisen. Verworns spätere Kontakte nach Köln lassen sich bisher allenfalls aus den Sonderdrucken von Aufsätzen erschließen, die sich noch heute in der Bibliothek des Römisch-Germanischen Museums der Stadt Köln vorfinden, z.B. "Steinzeitliche Malerutensilien" (Kasten 3/33 (1910); Kasten 16/22 (1910); U 322 (1909); U 323 (1919).

12 Wie Anm. 8.

13 Bericht vom 25. Januar 1907, "Mitteilungen aus den Lokalvereinen: Vortrag Max Verworn, Kinderkunst und Urgeschichte." In: Korrespondenzblatt der deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, Braunschweig 1907, S. 42 - 46.

14 Karl Bühler, "Ausdruckstheorie. Das System an der Geschichte aufgezeigt." Jena 1933, S. 15 - 35.

15 Ludwig Klages, "Prinzipien der Charakterologie." (1910), 2. unveränderte Aufl. Leipzig 1920, S. 6 - 10 trägt eine bissige, kritische Positionsbestimmung der bisherigen Geschichte der Psychologie vor.

16 Paul Oskar Kristeller, The Modern System of Arts. [1951], 1976, S.164 f.

17 Bezeichnend für diese Position das 5 Bände umfassende Werk von Moriz Carriere, "Die Kunst im Zusammenhang der Culturentwickelung und die Ideale der Menschheit." Bd. 1 "Die Anfänge der Cultur und das orientalische Alterthum in Religion, Dichtung und Kunst. Ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes." Leipzig, Brockhaus, 1863. Er nennt zwar ein Kapitel "Die Naturvölker" (S. 105 - 137), der Begriff "Kunst" taucht aber darin nicht auf, sondern Umschreibungen wie "Detailsverzierungen", "buntes Schnörkelwerk" (S.135) u.ä. Erst bei der Vorstellung der ägyptischen Kultur - nach der chinesischen -, S. 238 ff ist die Rede von "bildender Kunst". Ludwig Noir", " Die Entwicklung der Kunst in der Stufenfolge der einzelnen Künste." Leipzig 1874 läßt erst die griechische Kunst als solche gelten, denn "Die düster gebundenen ägyptischen und assyrischen Gestalten, die phantastischen Ungeheuer der indischen Mythologie, sie versinken in Nacht vor dem Götterstrahl, der von diesen herrlichen, hellen Stirnen [griechischer Skulptur] ausgeht." (S. 57); In Heinrich Schurtz, " Urgeschichte der Kultur." Leipzig - Wien 1900, S. 492 wird dann schon wie selbstverständlich im Kap. V, "Die geistige Kultur", ein Abs. 2. "Die Kunst" aufgeführt. Er beginnt mit folgender emphatischen Umschreibung: "Wie der tröstende Schimmer eines freieren und edleren Daseins strahlt die Kunst über dem engen, dürftigen Treiben der Menschen ..." Nachfolgend schreibt er von den "unscheinbaren Keimen und Anfängen" der Kunst, die selbst bei den primitivsten Völkern zu finden seien (S. 493). Gegen das Konzept einer "Katastrophentheorie" setzte bereits 1893 Alois Riegl seinen Begriff vom "frei schöpferischen" Kunstwollen in seinem - wie er selbst beklagte - wenig beachteten Werk "Stilfragen." (Wien 1893) und betonte sein "teleologisches" Konzept in: "Spätrömische Kunstindustrie." Wien 1901, 2. Aufl., Wien 1927, S. 7 - 10. Auch er lokalisiert den Ursprung des Ornaments in der altägyptischen Kunst (S. 43) und keineswegs in der frühgeschichtlichen, die von ihm in keiner Weise gewürdigt wurde. Zum Thema umfassend: William Rubin, "Primitivismus in der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts." München 1984.

18 Moritz Hoernes, "Urgeschichte der bildenden Kunst in Europa von den Anfängen bis um 500 vor Chr.", Wien 1889, S. 9 ff: "Anfänge der bildenden Kunst und ihre Entwicklung." Zur Entdeckungsgeschichte der Höhlenmalerei verweist er, S. 42, auf: Boucher de Perthes, Lartet und Christy, Eduard Piette (Ingenieur, betrieb 23 Jahre lang stratographische Höhlenforschung), "Notes pour servir " l'histoire de l'art primitif." In: L'Anthropologie, Bd. 4, Paris, 1894, S. 144. Salomon Reinach, "L'art et la magie. A propos des peintures et des gravures de l'"ge du Renne." In: L'Anthropologie, Bd.16, 1903. Hoernes war k. und k. Assistent in der Anthropologisch-ethnographischen Abteilung des naturhistorischen Hofmuseums in Wien.

19 Richard Andree, "Ethnographische Parallelen und Vergleiche." Stuttgart 1878, S. 199: "Anlagen zum Zeichnen ist bei Naturvölkern reichlich vorhanden und auch zu plastischen Darstellungen besitzen manche ein nennenswertes Geschick. Wie wahr sind nicht jene Darstellungen, welche die Buschmänner, die mit als die am tiefsten stehenden Geschöpfe erachtet werden, in ihren Höhlen mit farbigen Erden malen! Die zoologischen Charaktere der Nashörner, verschiedene Antilopenarten u.s.w. sind von ihnen treffend wiedergegeben und erregen unser Staunen...".

20 Wilhelm Wundt, "Völkerpsychologie." 1905, Bd. II,1, S. 84: "Erinnerungsbilder, ideographische Bilder"; Johannes R. Kretzschmar, "Kinderkunst und Urzeitkunst", in: Zeitschrift für pädagogische Psychologie, Pathologie und Hygiene, Bd. 11, 1910, S. 354 - 366, der Verworns Thesen ausführlich referiert (S. 355 - 357), verwirft dann (S. 360) dessen Schlußfolgerungen zugunsten einer Gegenthese von der Gemeinsamkeit von der Boden- und Raumlosigkeit und das Zeichnen aus der Erinnerung als gemeinsamen Merkmal der ersten Stufe der kindlichen und der frühgeschichtlichen Darstellung. Das aber hatte Verworn in seinem Göttinger Vortrag von 1907 (wie Anm. 13, S. 44) ausdrücklich ebenso vorgetragen. Danach legt Kretzschmar dar, daß es sich dabei aber nicht um Kunst, sondern um erzählende Mitteilung handele, bei der ein ästhetischer Normierungsprozess nicht stattgefunden habe (S. 363). Ganz polemisch benutzt Worringer (vgl. Anm. 28) in seinem Aufsatz von 1911 (wie Anm. 4) die Begriffe "primitive Kunst", "primitive (...) Kunstäusserungen" (S. 94).

21 So L. V. Frobenius, "Die Kunst der Naturvölker." In: Westermanns illustrierte deutsche Monatshefte, Bd.79, Braunschweig 1896, S. 594, der ebenfalls das Vorherrschen einer "Idee" beim Gestalten betonte, ebda. S. 599. Karl von den Steinen, "Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Reiseschilderungen und Ergebnisse der Zweiten Schingu-Expedition 1887-1888." 2.Aufl. Berlin 1897 enthält als XI. Kapitel das über "Die Kunst", I. Das Zeichnen (S. 230 - 241), II. Zeichenornamente (S. 241 - 251), III. Plastische Darstellungen und Keramik (S. 251 - 265). Beim Zeichnen unterscheidet er 1. "erklärende Gebärde" = Mitteilung (S. 230), 2. "Stilisierung" = erfreuende Ausschnitte und Tradition, 3. "Stilisierung von Abbildungen konkreter Nachbildungen" (S. 231). Seine Nr. 2 könnte mit dem Begriff "Einfühlung" bei Worringer und dem der "Physioplastik" bei Verworn, die Nr. 3 mit "Abstraktion" oder "Ideoplastik" verglichen werden. Dagegen bleibt seine Nr. 1 ohne Entsprechung bei Verworn oder Worringer. Zu einem hier nicht mehr behandelten Teil der Rezeptionsgeschichte der "primitiven" Kunst vgl. die vorzügliche Einleitung von William Rubin in dem von ihm herausgegebenen Sammelband "'Primitivism' in 20th Century Art." New York 1984, dt. "Primitivismus in der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts." München 1984, S. 8 - 91. Dort auch detailliert zur Verwendungsgeschichte unterschiedlicher Termini in Frankreich und im englischen Sprachraum und reiche Literaturnachweise zum Thema bis 1984. Zum Prozess der Nobilitierung Boris Groys, "Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie." München 1992. Einiges bleibt auch nach diesen Untersuchungen ungeklärt. Daß Klages und Bühler in ihren Schriften eine umfangreiche Theorie auch der bildenden Kunst des Expressionismus lieferten kann erst an anderem Ort dargelegt werden. Schließlich hat im Jahre 1920 Georg Marzynski in seinem Büchlein "Die Methoden des Expressionismus. Studien zu seiner Psychologie." Leipzig 1920, S. 39 ff, sowohl die Vergleiche, wie die Folgerungen Verworns voll in eine Theorie des Expressionismus integriert. Auch darüber wäre noch einiges zu sagen.

22 "Osservazioni nella Pittura di M. Cristoforo Sorte al Magnifico et Ecelletentissimo Dottore e Cavalliere il Signore Bartolomeo Vitali." (1573), In: "Trattati d'Arte del Cinquecento fra Manierismo e Controriforma." Bd. 1, a cura di Paola Barocchi, Bari 1960, S. 271 - 301; Moshe Barasch, "Christophoro Sorte as a Critic of Art." In: Arte Lombarda, Bd. 10 Suppl., 1965, S. 253 - 260.

23 Vgl. Peter Gerlach, "Si vis me flere...". Bilder von Gefühlen. In: Ludwig Jäger (Hrg.), "Zur historischen Semantik des deutschen Gefühlswortschatzes." Aachen 1988, S. 292 - 348.

24 Dazu Peter Gerlach, "Köln und die bildende Kunst für Bürger." In: P. Gerlach, W. Dörstel, W. Herzogenrath (Hrg.), "Texte zu Bürgern, Bürgervereinen und Kunstvermittlung." = Kölnischer KUNSTverein. Einhundertfünfzig Jahre Kunstvermittlung. Köln 1989, S. 37 - 73.

25 Wolfgang Kemp, "'... einen wahrhaft bildenden Zeichenunterricht überall einzuführen'. Zeichnen und Zeichenunterricht der Laien 1500 - 1870." Frankfurt 1979. Peter Paret, "Die Berliner Secession. Moderne Kunst und ihre Feinde in kaiserlichen Deutschland." Berlin 1981. Zur wichtigen Vorreiterrolle der Wiener Sezession 1898 in der Vorstellung der "herrlichen Kraft" der Jugend vgl. Reinhardt 1977-78 (wie Anm. 7), S. 85 - 87.

26 Kemp 1979 (wie Anm. 25), S. 313 bringt aus der reformpädagogischen Debatte des 19. Jh. erst für 1868 ein Zitat bei, in dem "Ausdruck seines (des Kindes) Charakters" von J. Grangedor, "L'enseignement du dessin." In: Gazette des Beaux-Arts, Bd. 1, 1868, S. 54 als pädagogische Maxime geäußert wurde.

27 Corrado Ricci, "L'Arte die bambini." 1887, dt. 1906. Zur romantischen Vorgeschichte der Beachtung der Kinderzeichnung vgl. Kemp 1979 (wie Anm. 25), S. 232 ff. Der Vergleich von Kinder-Zeichnungen und der Kunst lebender Naturvölker war, auf Ricci sich beziehend, durch Karl von den Steinen 1897 (wie Anm.21), S.233 f eingeführt worden. Ausführlich widmete sich Siegfried Levinstein in seinem Buch "Kinderzeichnungen bis zum 14.Lebensjahr. Mit Parallelen aus der Urgeschichte, Kulturgeschichte und Völkerkunde." (Leipzig 1905, S. 1 - 6, 62 ff) dieser Gegenüberstellung. Er stützte sich dabei auf die Arbeit von Herman T. Lukens, "A Study of Children's Drawings in the Early Years." In: Pedagogical Seminar, Oct. 1896. Im Vergleich zeigt sich deutlich, daß selbst Worringers Begriffspaar "Abstraktion - Einfühlung" (vgl. Anm. 28) offensichtlich entscheidende Gedanken und Vergleiche dieser Vorgabe Lukens/Levinstein verdankt.

28 Wilhelm Worringer, * 1881 Aachen - 1950 München, Teilnehmer am Kölner "Gereonsclub", der von seiner Schwester geleitet wurde. Priv. Doz. in Basel, 1925 Professur in Bonn, wo er 1906 seine Dissertation "Abstraktion und Einfühlung." vorgelegt hatte. Sie erschien zunächst als einfacher Dissertationsdruck im Verlag seines jüngeren Bruders Adolf 1907 in Neuwied, bis Piper in München darauf aufmerksam wurde und sie 1908 in der ersten, 1911 bereits in der dritten Auflage als Buch herausgab. Damit erst wurde die Arbeit bekannt. Einige Veröffentlichungen bezeugen seinen engen Kontakt zu Künstlern der Moderne, z.B. 1911 (wie Anm. 4).

29 Verworn 1907, zit. n. 2. Aufl.1917, S. 17; Zur Kritik vgl. Conrad Fiedler, "Der Ursprung der künstlerischen Tätigkeit." (1887) In: ders., "Schriften über Kunst." Köln 1977, S. 131 - 240, schrieb: "Es ist nicht zu leugnen, daß jene verbreitete Auffassung, die in allen Bemühungen des Menschen, Sichtbares äußerlich darzustellen, nichts anderes erblickt als relativ unvollkommene Versuche, etwas nachzubilden, was in vollkommenster Weise dem schauenden Bemühen mühelos zuteil wird, den Schein für sich hat... Man verwickelt sich dabei aber nicht weniger in einen Widerspruch... auch hier handelt es sich nicht um ein Vorbild und ein Nachbild; denn wollte man um des Vergleiches willen das Vorbild nachweisen, so fände man sich auf die Mittel des sogenannten Nachbildes angewiesen; dieselben Mittel also, die angeblich einer Nachbildung dienen, müßten selbst erst dasjenige herstellen, was sie doch nachzuahmen berufen sein sollen." (S. 184). Daß bei Verworn eine Reflexion auf die zeitgenössische Wahrnehmungstheorie etwa von Helmholtz und der Wiener Schule - Ehrenfels etwa - vorliegen könnte, erscheint mehr als wahrscheinlich.

30 Verworn 1907:45, Anm. 6.

31 Verworn 1907, S. 18. Daß Verworn mit dieser Bemerkung möglicherweise auch auf eine Auseinandersetzung anspielt, die just zu diesem Zeitpunkt in der Wissenschaft der zoologischen Biologie öffentlich ausgetragen wurde und in der die "Wahrheit" der in Zeichnungen dargelegten Beweismittel für oder gegen das biogenetische Grundgesetz einen Kernpunkt bildeten mit Haeckel auf der einen Seite und seinem heftigsten Gegner, Arnold Braß, auf der anderen Seite, der ihm Verheimlichung seiner Quellen und deren absichtliche "Fälschung" nachwies, darauf kann erst weiter unten (Anm. 60) näher eingegangen werden.

32 Verworn 1907, S. 8, Fig. 1 - 11.

33 Verworn 1907:54. Auf einen diesem noch voraufliegenden Abstraktionsvorgang insistierte bereits 1887 Conrad Fiedler (wie Anm. 29), S. 186 f bei seiner Ableitung der zeichnerischen Darstellung als höherer sinnlicher Leistung verglichen zu derjenigen, die der Tastsinn ermöglicht. "Hier aber muß vor allem einem landläufigen Irrtum entgegengetreten werden. Durch die Pflege einer sogenannten anschaulichen Beziehung zu den Dingen soll man, ..., in das Verhältnis eingeführt werden, in das sich der Künstler zur Natur setzt... Gerade diejenige exakte wissenschaftliche Beschäftigung mit der Natur, die es ununterbrochen mit der sichtbaren Seite der Dinge zu tun hat, pflegt den einzelnen am unfähigsten zu machen, den besonderen Wert der Beziehung einzusehen, in der der Künstler sich zur Natur befindet. ... Die wissenschaftliche Tätigkeit läuft (aber) nicht auf ein Sehen, sondern auf ein Wissen hinaus; der Gewinn, der dadurch zugeteilt wird, kommt nicht dem Sehen, sondern dem Wissen zugute..." (S.188 - 189).

34 Zur "Einfühlung" als Selbstgenuß: Theodor Lipps, "Einfühlung und ästhetischer Genuß." In: Die Zukunft, Bd. 54, 1906, S.100 - 114; bereits 1903 in: "Ästhetik. Psychologie des Schönen und der Kunst." Hamburg - Leipzig 1903, Bd. 1 - 2, Bd.1, 2. Abschnitt "Einleitendes zur Frage der Einfühlung", S. 96 - 223 ausführlich behandelt. Auf Sätze wie "... Das Gefühl der Schönheit ... ist das beglückende Gefühl des ungehemmten Sichauslebens der Individualität" (a.a.O., S. 202) berief sich auch Worringer 1906/1911 (wie Anm. 28), S. 4 ff. Erklärungsversuche durchziehen die gesamte Literatur zu diesem Themenkreis. Nur Verworn und Worringer formulierten einschlägig oppositionelle Termini, deren Stärke ihre Einprägsamkeit zu sein scheint. Ihre Schwäche indessen ist nicht minder gravierend: Beide unterstellen eine eindeutige Abfolge, ein klar scheidbares Nacheinander, das sich wenig später angesichts der frühzeitlichen Kunst schon nicht mehr halten ließ. Daß jedoch beide Formen des bildnerischen Ausdrucks gleichzeitig nebeneinander existieren, erschien ihnen beiden nicht einmal der Erwähnung wert. Im Jahre 1898 veröffentlichte Paul Stern eine kritische Studie unter dem Titel "Einfühlung und Association in der neueren Ästhetik. Ein Beitrag zur psychologischen Analyse der ästhetischen Anschauung." Hamburg - Leipzig 1898. 8", 82 S. Sie erschien als 5. Bd. in der von Theodor Lipps und Richard Maria Weber herausgegebenen Reihe der "Beiträge zur Ästhetik." Wahrscheinlich dürfte sein, daß Worringer ebenso wie Verworn auf dieser oder auf Lipps Theorie der Einfühlung aufbauten. Beide bemühten sich mit historischem Material zu füllen, was bei Lipps und Stern theoretisch und an wenigen Fällen exemplifiziert ausgeführt war. Das opposionell benutzte Begriffspaar "Einfühlung" / "Assoziation" von Stern deckt sich mit Worringers "Einfühlung" / "Abstraktion" und Verworns "physioplastisch" / "ideoplastisch" nur formal, blickt man in Sterns Text, dann indessen auch mit dem dort vorgetragenen Argumenten. Dabei ging es Stern vorzüglich um eine Klärung des noch vageren Inhalts von "Assoziation". Sein Schlußsatz: "... schliesslich führten wir die Tiefe und Macht des ästhetischen Eindrucks zurück auf die notwendig mit ihm gegebene Modifikation des ethischen Selbstwertgefühls..." deckt sich mit einigen Formulierungen Worringers nahezu wörtlich. Vgl. zur Kritik des Begriffspaares von Worringer: Peter Gerlach, "Abstraktion und Einfühlung." In: Aachener Kunstblätter, Bd. 56/57, Aachen 1988/89, S. 343 - 352; Kitty Zijlmans - Jos Hoogeveen, "Kommunikation über Kunst. Eine Fallstudie zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte des 'Blauen Reiters' und von Wilhelm Worringers 'Abstraktion und Einfühlung'." = Kleine Alpha Reeks 1, Leiden 1988.

35 Verworn 1917, S.14.

36 Verworn 1907, S. 20 - 21.

37 Verworn 1907, S. 22. Dagegen betont Fiedler 1887 (wie Anm. 29) nun die völlig Unmöglichkeit dieses Auseinanderklaffens, da jeglicher Grad bildnerischer Fertigkeit immer gleichermaßen Sehen, Wissen und körperliche Umsetzungsfähigkeit als einander Bedingende den Handlungen des Menschen entspringen (S. 189 f).

38 Verworn 1907, S. 45, Anm. 7 Verweis auf Haeckels biogenetisches Grundgesetz (Ernst Heinrich Haeckel, "Anthropogenie oder Entwicklungsgeschichte des Menschen. Gemeinverständliche wissenschaftliche Vorträge über die Grundzüge der menschlichen Keimes- und Stammes-Geschichte." Leipzig 1874. Erster Vortrag, Das Grundgesetz der organischen Entwicklung, S. 6 - 7: "Dieses 'biogenetische Grundgesetz', auf das wir immer wieder zurückkommen werden und von dessen Anerkennung das ganze innere Verständnis der Entwicklungsgeschichte abhängt, lässt sich kurz in dem Satz ausdrücken: Die Keimesgeschichte ist ein Auszug der Stammesgeschichte; oder mit anderen Worten: Die Ontogenie ist eine kurze Recapitulation der Phylogenie..." (vgl. dazu Taf. IV-V. nach S. 256: Fisch, Salamander, Schildkröte, Huhn / Schwein, Rind, Kaninchen, Mensch. "F. Haeckel del. - Lith. Anst. v. J. G. Bach, Leipzig." Bedeutung der menschlichen Keimesgeschichte, S.691). Das biogenetische Grundgesetz wurde 1854 von B. von Cotta erwähnt und durch Haeckel mehrfach formuliert, das erste Mal jedoch in: ders., "Biogenetisches Grundgesetz (fundamental biogenetic law)", in: ders., "Generelle Morphologie der Organismen. Allgemeine Grundzüge der organischen Formen-Wissenschaft, mechanisch begründet durch die von Charles Darwin reformirte (!) Descendenz-Theorie." Bd. II, Berlin 1866, Buch 5.II. Vgl. S. Blasche, G. Gabriel, H. R. Ganslandt et al., hrg. v. Jürgen Mittelstraß, "Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie." Mannheim-Wien-Zürich, 1980, Bd. 1, S. 825. Vgl. Levinstein 1905 (wie Anm. 26), S. 3: "Das Kind zeigt darstellerische Anlagen... Ernsthaft darstellerisch wird das Malen erst, wenn das Kind anfängt Umrisse zu zeichnen. Es ist hierbei bewundernswert, wie bei aller Individualität doch die Zeichnung aller Kinder viele gemeinsame Züge haben und diese Züge finden wir beim Urmenschen und bei den sogenannten 'Wilden' wieder." Worringer schrieb 1911 (wie Anm. 4) "Wir können uns gewiss heute nicht künstlich auf das Niveau des primitiven Menschen zurückschrauben, aber was heute unterirdisch in uns drängt..." und umschreibt damit eben jene Hypothese. Die Manipulationen, die Haeckel in seine Demonstrationszeichnungen einfügte sind erst kürzlich aufgewiesen worden. Er selber trug Einschränkungen vor: "Um übrigens das Biogenetische Grundgesetz richtig zu verstehen und anzuwenden, muß man bedenken, daß die erbliche Wiederholung der ursprünglichen Stammformenkette durch die entsprechende und parallele Keimformenkette nur selten (oder streng genommen niemals!) ganz vollständig ist. Denn die wechselnden Existenzbedingungen üben ihre Wirkung auf jede einzelne Keimform ebenso aus, wie auf den entwickelten Organismus. Außerdem wirkt das Gesetz der abgekürzten Vererbung beständig auf eine Vereinfachung des ursprünglichen Entwicklungsganges hin. Andererseits kann aber der Keim durch Anpassung an neue Lebensverhältnisse (z.B. Bildung schützender Hüllen) neue Formen gewinnen..." Zit. nach: Ernst Haeckel, Gemeinverständliche Werke, hrsg. von Heinrich Schmidt - Jena, Bd. 1, Natürliche Schöpfungsgeschichte erster Teil, Leipzig - Berlin 1924, S. 346. Zur Biographie: Erika Krauße, Ernst Haeckel, Leipzig 1984 = Biographien hervorragender Naturwissenschaftler, Techniker und Mediziner, Bd. 70. Zum Verdacht der Fälschung seiner Belegzeichnungen Federico Di Trocchio, "Der große Schwindel. Betrug und Fälschung in der Wissenschaft." Frankfurt - New York 1995, S. 139 - 150.

39 Verworn 1907, S. 44 ff ausführlich dazu. Daß sich in diesem Slogan von der "Ursprünglichkeit" einerseits ein eher emotional-aggressives Instrument zur Distanzierung von der akademischen Tradition, andererseits zudem noch ein die tatsächlichen Prozesse der bild-künstlerischen Heranbildung verkennende Utopie einnistete, verhinderte nicht die langlebige Wirksamkeit dieser psychologisch kaum haltbaren Vorstellung, wie jener vom "Primitiven".

40 Verworn 1907, S. 21.

41 Verworn 1907, S. 22.

42 Verworn 1907, S. 24.

43 Levinstein 1905 (wie Anm. 27) referiert diese nach Lukens 1896 (wie Anm. 27), S. 5 f: "1. Periode des Kritzelns (etwa mit 2 Jahren), 2. Periode der lokalen Anordnung (etwa 3.Lebensjahr), 3. Phase des einfachen Umrisses (etwa mit 3 " Jahren erreicht). Sie bleiben jedoch unkommentiert, so daß über die Vorstellung, welche kreativen Kräfte er dabei für wirksam hielt, nichts zu erfahren ist. Dazu ausführlich indessen Fiedler (wie Anm. 29), S. 176 ff.

44 Karl Lamprecht [1856-1915], "Deutsche Geschichte." 1891; 1904: Aufruf zur Sammlung von freien Kinderzeichnungen der verschiedenen Rassen, übersetzt in englisch, französisch, italienisch, japanisch; ders., "Moderne Geschichtswissenschaft. Fünf Vorträge." Freiburg 1905; 1909 Eröffnung des Instituts für Kultur- und Universalgeschichte an der Universität Leipzig, vgl. Mühlmann 1984 (wie Anm. 10), S.122 ff.

45 Kemp 1979 (wie Anm. 25), S. 208 f. Dazu Levinstein 1905 (wie Anm. 27), der ganz entschieden in diese kunstpädagogische Debatte eingreift und die verschiedenen Positionen darlegte, um dann umso deutlicher diejenige zu befürworten, die er als die "Hamburger" tituliert. Damit ist auf Lichtwarks Reformbewegung verwiesen.

46 Zur Kunsttheorie des 16. Jh. vgl. Moshe Barasch, "Christophoro Sorte as a Critic of Art." In: Arte Lombarda, Bd. 10 Suppl., 1965, S. 253 - 260. Chr. Sorte,"Osservazione nella pittura." Venezia 1580, ed. Paola Barocchi, Trattati..., Bd. 1, Bari 1960, S. 276 - 301. Zu Lecoq de Boisbaudran (Lehrer an der "cole Polytechnique, Paris) vgl. A. Boime, "The Academy and French Painting in the Nineteenth Century." London 1971, S. 181 f. Man denkt hier unwillkürlich an die Vorgeschichte der durch Ludwig Klages 1931/1921 wiederbegründeten Graphologie als Instrument der Charakteranalyse. Zur Vorgeschichte: Prospero Aldorisio, "Gelatoscopia." Napoli 1611; Camillo Baldi, "Lettera missiva." Carpi 1622; Johann Christian August Grohmann, "Untersuchung über die Möglichkeit einer Charakterzeichnung aus der Handschrift." Berlin 1792; L"once Vi", "La graphologie." Paris 1889; Richard Dimsdale Stocker, "A Concordance of Graphology and Physiognomy." London 1896; Ludwig Klages, "Ausdrucksbewegung." (1913), Leipzig 1921; Anja und Georg Mendelssohn, "Der Mensch in der Handschrift." Leipzig 1928. Vergleichbares Argument bei Levinstein 1905 (wie Anm. 27), Einleitung S. 1 - 3.

47 Nach Kemp 1979 (wie Anm. 26), S. 316, "infantile" Apperzeption erstmals bei Ruskin.

48 vgl. Anm. 38 u. 60.

49 Verworn 1907, S. 29.

50 Verworn 1907, S. 29 - 30.

51 vgl. Verworn 1907, S. 39.

52 dagegen Verworn 1907, S. 46: "... geht hervor ..., daß ein Parallelismus ... nicht besteht."

53 Verworn 1914, Vorwort.

54 Verworn 1914, S. 1 - 2.

55 Verworn 1914, S. 3.

56 Verworn 1914, S. 2.

57 Zu diesen Wissenschaften, einschließlich der zeitgenössischen Kriminologie, der Medizin und der Kunstwissenschaft und den ihnen gemeinsamen Verfahren der Suche und Sicherung von Indizien zur Entlarvung der "Täter" vgl. Carlo Ginzburg, Spie. "Radici di un paradigma indiziario." In: "Crisi della ragione. Nuovi modelli nel rapporto tra sapere e attivit" umane." Ed. da Aldo Gargani, Torino 1979:57 - 106; dt. "Spurensicherung. Der Jäger entziffert die Fährte, Sherlock Holmes nimmt die Lupe, Freud liest Morelli - die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst." In: Carlo Ginzburg, "Spurensicherungen. Über verborgene Geschichte, Kunst und soziales Gedächtnis." München 1988, S. 78 - 125, zum Indizienparadigma als Methode um 1870 - 1880. Zur Lektüre Klages und Bühlers als Lieferanten einer expressionistischen Kunsttheorie vgl. Peter Gerlach, "Kalte Sonne, heißer Mond. Ausdruck und Lebenshaltung in Expressionismus und Neuer Sachlichkeit." In: Kleine Fluchten. Exotik im Rheinischen Expressionismus. = Schriftenreihe Verein August Macke Haus, Bonn, Nr.15, Bonn 1995, S. 87 - 92 und ders., "Physiognomik. Systemtisches zur Bildnisbeschreibung." In: Österreichischer Kunsthistorikerkongress, Krems 1996. Wien 1997, S. 77 - 89.

58 wie Anm. 20 u. 44.

59 Verworn 1914, S. 4.

60 Arnold Braß [1854 - ?] wies nach (S. 49 ff), daß Haeckels Abbildungen Kombinationen waren, die nicht ausschließlich dem Befund entsprachen, sondern falsche Bezeichnungen und partielle Retuschen enthielten, damit seine Entwicklungsthese optisch belegbar wurde, in: "Ernst Haeckel als Biologe und die Wahrheit." [Halle a.d. Saale, Mühlmann] Straßburg, Max Kielmann, 1906. 8", 96 S.; 2. Tausend, gr 8", Halle, R. Mühlmann's Verlag, 1911; dann detaillierter in: "Das Affen-Problem. Professor Ernst Haeckels neuste gefälschte Embryonen-Bilder von Dr. A. Brasz. 40 Abbildungen." Innentitel: "Das Affen-Problem. Professor E.Haeckel's Darstellungs- und Kampfesweise, sachlich dargelegt nebst Bemerkungen über Atmungsorgane und Körperformen der Wirbeltier-Embryonen von Dr. Arnold Braß." Leipzig, Biologischer Verlag, 1908. 42 S., 40 Abb., 4 Taf. "Das Affen=Problem. Professor E. Haeckel, seine "Fälschungen der Wissenschaft" und ihre Verteidigung durch deutsche Anatomen u. Zoologen! Von Dr. A. Braß." 48 Abb. Zweite Auflage, Leipzig, Biologischer Verlag Heinrich Wallmann. 1909. Innentitel: "Professor E. Haeckel's Darstellungs- und Kampfesweise sachlich dargelegt nebst Bemerkungen über Atmungsorgane und Körperform der Wirbeltier-Embryonen von Dr. Arnold Braß." Mit 48 Abbildungen. 2. Auflage, Leipzig, Biologischer Verlag 1909. 8", 88 S., 4 Taf. u. 13 Fig., 13 - 27 ("willkürlich entstellt", "einfach frei erfunden"), 40 - 42 (6 - 8% gefälscht), 51 ff, Verheimlichung der Quellen aus denen verfälschte Zeichnungen kopiert seien S. 16. 1909 schließlich erschien dann "Die Freiheit der Lehre und ihre Mißachtung durch deutsche Biologen von Dr. Arnold Braß." Leipzig 1909. 8", 20 SS., in dem es nicht mehr nur um Embryonen-Bilder, "falsch schmatisierte Leitbilder" (S. 4) ging, sondern um "die Freiheit der Lehre", wobei er seinen Gegnern "wissenschaftlichen Terrorismus bösester Art" (S. 3) vorwarf. Eine umfassendere Abrechnung mit der Monisten-Gruppe und Haeckel trug er vor in: "Ernst Haeckel als Biologe und die Wahrheit von Dr. Arnold Braß." Halle a.S. 1906, zum biogenetischen Grundgesetz S. 47, 56 f, 61, 66 ff.

61 1907 in Frankfurt a.M. gegründeter christlich-katholischer Verein zur Bekämpfung des Monismus. Braß 1909 (wie Anm. 60), S. 31, 38 f.

62 Braß 1909 (wie Anm. 60), S. 30 f, 37 ff.

63 Verworn 1914, Fig. 9 - 10.

64 Verworn 1914, Fig. 11.

65 Verworn 1914, S. 11 - 12.

66 Verworn 1914, S. 69, Anm. 8.

67 Verworn 1914, S. 20, Fig. 14.

68 Verworn 1914, S. 36.

69 Verworn 1914, S. 3, Abb. 35 - 39.

70 Verworn 1914, S. 36 - 37.

71 Verworn 1914, S. 38.

72 Verworn 1914, S. 38 - 39, im Original gesperrt.

73 Verworn 1914, S. 39 - 40.

74 Verworn 1914, Fig. 40 - 41.

75 Fast gleichlautend Worringer 1911 (wie Anm. 4), S. 96; zur logischen und psychologischen Unhaltbarkeit der Ausgangsthesen vgl. Fiedler 1887 (wie Anm. 29), S. 192 ff: "So paradox es klingen mag, so fängt Kunst doch erst da an, wo die Anschauung aufhört. Nicht durch eine besondere anschauliche Beziehung zeichnet sich der Künstler aus (...); er unterscheidet sich vielmehr dadurch, daß ihn die eigentümliche Begabung seiner Natur in den Stand setzt, von der anschaulichen Wahrnehmung unmittelbar zum anschaulichen Ausdruck überzugehen; seine Beziehung zur Natur ist keine Anschauungsbeziehung, sondern eine Ausdrucksbeziehung."

76 Jonathan Fineberg, "Mit dem Auge des Kindes. Kinderzeichnungen und moderne Kunst." Ausst. Kat. Lenbachhaus, München 1995. Der zugehörige Essay-Band (Fineberg 1995, wie Anm. 3) bringt zur hier untersuchten Vorgeschichte nichts, sehr Detailliertes indessen zum Umgang von Künstlern mit der Kinderzeichnung ab 1902 (Klee) und 1910 (Kandinsky). Zu Klees Zeichnungen aus den Jahren 1912, 1916, 1922, die sich mit kindlicher Ursprünglichkeit und Fantasie berührten und dem durchaus wandelbaren und ambivalenten Verhältnis des Bauhaus-Meisters zur Kinderkunst, ähnlich wie Klees diagonal verbundene Strichmännchen von 1912 ("Die Gewärtigen") vgl. O. K. Werckmeister, Versuche über Paul Klee. Frankfurt am Main 1982, S. 124 ff; Paul Klee. Tagebücher, hg. von Felix Klee, Köln 1957; S. 248, Nr. 851 (1909): Mit Formvereinfachung - um eine Komposition überschaubar zu machen, jene "Reduktion als letzte professionelle Erkenntnis" - widersprach Klee dem Vorwurf des Infantilismus.




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